4. Lycée impérial: eine französische Episode:

Das Bonner Gymnasium als „caserne scolaire“

 

Vom 21. November 1798 an ließen die Franzosen eine „Ecole centrale“ einrichten, halb Gymnasium, halb Universität: Vom 12. bis zum 14. Lebensjahr wurden Latein, Griechisch, Französisch, Naturgeschichte und Zeichnen, vom 14. bis zum 16. Lebensjahr mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer unterrichtet; anschließend hörten die Studierenden Vorlesungen über Natur- und Gesundheitslehre, über Metaphysik oder Nationalökonomie. Aber auf diesen anspruchsvollen dritten Zyklus waren die Schüler völlig unzureichend vorgebildet, so dass der neue Schultypus wieder aufgehoben wurde.

 

Das alte Gymnasium hatte seinen Unterrichtsbetrieb noch nicht ganz eingestellt. Die Lehrer konnten nämlich ihren Unterricht fortsetzen, da sie in ihren Wohnungen im Jesuitenkolleg blieben und die dortigen Unterrichträume benutzen durften. Aus den erhöhten Beträgen für die Beaufsichtigung im „Silentium“ bestritten sie ihr dürftiges Gehalt. Durch das Scheitern der „Ecole centrale“ erhielt das Gymnasium wieder größeren Zulauf (von 40 auf 200 Schüler). Im Schuljahr 1804/05 wurde es als Ecole secondaire offiziell eingerichtet und wieder in das alte Gymnasialgebäude zurückverlegt. Es war aber nur noch eine Art Mittelschule mit vier Klassen: Latein, Französisch, Geschichte, Mathematik, Physik, Erdkunde; die Schüler durften im Unterricht deutsch reden.

 

Am 17. September 1803 beschloss die französische Konsularregierung, in Bonn ein „Lycée zu errichten mit einem „pensionnat, in dem die Lehrer und 150 Schüler wohnen sollten. Der neuen Einrichtung stand der zum Hofgarten liegende Mittelbau des Schlosses zur Verfügung. Man gewann Joseph Kügelgen, der in Godesberg ein Pensionat unterhielt, nach Bonn umzuziehen und im Schloss das „pensionnat provisoire als Direktor zu übernehmen. Anfang November 1806 begann der Unterricht und im August 1807 wurde das Pensionat zum „Lycée erhoben, am 1. Juni 1808 als „Lycée impérial feierlich eröffnet. Die verarmte Stadt Bonn sah sich allerdings nicht in der Lage, die geforderte Unterhaltung der Schule aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Die Kosten wurden auf die Bürgerschaft umgelegt. Das Kostgeld für die Internatsschüler (am Schluss 118) hatten die Eltern zu zahlen; die weniger zahlreichen Externen, meist aus Bonn, entrichteten ein Schulgeld.

 

Im Erdgeschoss befanden sich sieben Klassen, im 1. und 2. Stock sieben Studier- und ebenso viele Schlafsäle mit je 25 Betten. Außerdem gab es einen Zeichensaal, Räume für die Bibliothek und die naturwissenschaftlichen Sammlungen und zwei Säle für Exerzierübungen. Den Gottesdienst besuchte man in der Schlosskirche. Auch die Wohnungen für die Lehrer (je zwei Räume) und den Leiter und Verwalter (je sechs Räume) lagen im Schloss. Die durchschnittliche Zahl von 140 Schülern, meist Interne, bestand in der Mehrzahl aus Franzosen. Nach dem Tode Kügelgens 1810 achtete sein ungeliebter Nachfolger Godart strengstens darauf, dass nur Französisch gesprochen wurde.

Zum „Lycéegehörte eine Vorschule, „classe élémentaire“, mit drei Klassen, in denen Latein, Französisch und biblische Geschichte unterrichtet wurde. Es folgten zwei Klassen „grammaire“ („première“ und „seconde année“), dann zwei Klassen „humanités“, eine „classe de mathématiques spéciales“ und eine „classe de rhétorique“. Die Klasse „philosophie“ gab es in Bonn nicht.

Latein, Französisch und Mathematik waren die Hauptfächer; die französische Unterrichtssprache galt ausschließlich. Auf Wunsch erhielten die französischen Schüler einen Sprachkurs in Deutsch. Alle Schüler sollten möglichst gut aus dem Französischen ins Lateinische und umgekehrt übersetzen („thème et version“), lateinische Verse sowie lateinische und französische Reden anfertigen: Schreiben und Auswendiglernen bildete die Haupttätigkeit der Schüler während ihres ca. zehnstündigen Unterrichtstages.

Die „classe du matin“ lag morgens von 8 bis 10 Uhr, die „classe du soir“ nachmittags von 3 bis 4 3/4 Uhr. Schreiben, Zeichnen und sonstiger Nebenunterricht fanden von 11 ½ bis 12 ½ Uhr statt. Die Zeit von 6 bis 7 ½ Uhr, 10 bis 11 ½ Uhr morgens und 2 bis 3 Uhr und 5 bis 7 Uhr nachmittags war als Arbeitszeit vorgesehen. In der Woche gab es zwei freie Nachmittage und einen für Klausurarbeiten vorgesehenen Tag, an dem in den Hauptfächern schriftliche Klassenarbeiten („discours latin“, „version latine“, „version grecque“, „vers latins“, „thème“) geschrieben und Aufgaben in Mathematik gelöst wurden. Die Namen der besten Schüler erschienen auf der „table d’honneur“.

Die Schüler, in blaue, später graue Uniformen gekleidet, waren in Kompanien zu je 25 aufgeteilt, angeführt jeweils von den fünf besten Schülern, einem Sergeanten und vier Korporälen. Der schulisch und militärisch beste Schüler befehligte als Sergeantmajor alle Kompanien. Trommelschläge kündigten Beginn und Ende des Unterrichts und die Exerzierphasen an. Bei ihren Ausgängen in die Stadt, selbst bei der Fronleichnamsprozession, marschierten die Schüler in Reih und Glied und kleinen Gewehren an der Schulter.

 

Nach der Schlacht bei Leipzig (16. bis 19. Oktober 1813) deuteten sich Vorbereitungen für die Räumung der Schule an. Nach Blüchers Rheinübergang bei Kaub verließen in der Nacht vom 13. zum 14. Januar 1814 die französischen Schüler mit ihren Lehrern Bonn. Die deutschen Lehrer sollten den Unterricht für die Externen fortsetzen.


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