8. Das Beethoven-Gymnasium in der NS-Zeit: Erziehung zum „neuen Geist“ versus „freie Entfaltung der Persönlichkeit“

8.1 Vorsichtige Anpassung an die Bedingungen des neuen Regimes (1933 – 1935)

Auch unter dem neuen Reichskanzler Hitler blieb – trotz angekündigter Schulreform – die Struktur der Gymnasien aus der Weimarer Zeit erst einmal bestehen. Nur eine weltanschaulich begründete Änderung in allen Abschlussprüfungen betraf seit September 1933 die Abiturienten: eine verbindliche Prüfung in Vererbungslehre und Rassenkunde. Im Unterricht mussten die „biologischen Grundtatsachen“ sowie „Rassenhygiene, „Familienkunde“ und „Bevölkerungspolitik“ ausgiebig erarbeitet werden; auch in Deutsch, Geschichte und Erdkunde sollten biologische Sichtweisen vorherrschen.

 

Der seit 1930 tätige Schulleiter Wilhelm Dresen, obwohl Zentrumsmann und ehemaliger Abgeordneter des Provinziallandtages, blieb zunächst im Amt. Ihm lag die christliche Lebensausrichtung der Jugend sehr am Herzen, und er konnte seine schützende Hand über die Mitglieder der konfessionellen Jugendvereine halten. Der aus der katholischen Jugendbewegung hervorgegangene Bund Neu-Deutschland“ (ND), 1919 in Köln als Vereinigung von Schülern höherer Lehranstalten gegründet, hatte am Beethoven-Gymnasium eine sehr starke Gruppe von ca. 120 Schülern. Sie verstanden sich zwar – wie die freie bündische Jugend – als Selbsterziehungsgemeinschaft unter selbst gewählten Führern, um ihre Freizeit mit Heimabenden, Wanderungen, Fahrten und Lagerleben zu gestalten, waren aber ausgesprochen religiös ausgerichtet und verlangten auch geistliche Unterweisung. Da die Nationalsozialisten von Anfang an die Hitlerjugend (HJ) zur alleinigen und verbindlichen staatlichen Jugendorganisation ausbauen wollten, verboten sie zunächst die politischen und nach und nach auch die freien Jugendverbände.

Die Fuldaer Bischofskonferenz vom 31. Mai 1933 hatte zwar den Willen des Regimes begrüßt, „die Jugend der Nation innerlich zu einigen“, aber eine Staatsauffassung abgelehnt, nach der die Jugend ausschließlich vom Staat erfasst und erzogen werden sollte. Das zwischen dem Deutschen Reich und der katholischen Kirche im Juli 1933 geschlossene Konkordat sicherte auch die Daseinsberechtigung der katholischen Jugendverbände, doch das Regime versuchte mit allen Mitteln, deren Tätigkeit auf geistlich-seelsorgerische Belange zu reduzieren. Eine gleichzeitige Mitgliedschaft von Hitlerjugend (HJ) und katholischem Jugendbund war verboten.

Andererseits übten anfangs das noch sehr „bündisch“ ausgerichtete „Deutsche Jungvolk“ (die 10- bis 14jährigen in der HJ) und das dynamische, propagandawirksame Auftreten der HJ (der 14- bis 18jährigen) eine Anziehungskraft auch auf Mitglieder des ND aus, so dass sie überwechselten in der Hoffnung, – gewissermaßen mit staatlicher Förderung – ihre Tradition der Fahrten, der Lieder- und Heimabende zu bewahren. Gleichwohl kam es zu Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen den überzeugten NDern, die auf ihre Selbstständigkeit pochten, und der Hitlerjugend, die ihren Alleinvertretungsanspruch durchsetzen wollte. Diese soll im Sommer 1933 im Beethoven-Gymnasium das Anschlagbrett des ND aus der Wand gerissen haben. Im März 1934 wurden dem katholischen Jugendverband das geschlossene Auftreten in der Öffentlichkeit und das Tragen der Bundestracht verboten.

 

Dresen achtete besonders auf die regelmäßige und pflichtgemäße Teilnahme am Schulgottesdienst. Als sich im Laufe des Jahres 1934 die Reihen wohl etwas lichteten, ermahnte er eindringlich seine Kollegen, diese verbindliche Schulveranstaltung schärfer zu kontrollieren, Versäumnisse ins Klassenbuch einzutragen und auf dem Zeugnis zu vermerken. Er selbst nahm sich der Fehlenden persönlich an, um sie auf ihre „Pflichtvergessenheit aufmerksam“ zu machen oder „noch schärfer“ gegen sie vorzugehen.

Da von 1934 an die Lehrer im Abitur „der Biologie eine besondere Aufmerksamkeit widmen“ mussten, ließ Dresen das Kollegium „Art und Abhaltung der Prüfung“ regeln. Sie dauerte meistens weniger als fünf Minuten (die kürzeste zwei Minuten) und beschränkte sich auf wenige Wissensfragen.

Allerdings musste der Schulleiter sich nach außen hin mit lauten Bekenntnissen zum neuen Regime anpassen. Sicherlich auch beeindruckt durch den auf Aussöhnung mit den alten Kräften des Reiches inszenierten „Tag von Potsdam“, hielt er bei einer Schulfeier in der Aula am 21. März 1933 es für eine „hohe christliche Pflicht als Staatsbürger, die Autorität der rechtmäßig bestellten Regierung anzuerkennen und sie mit kraftvollem Wollen in ihrem Handeln zu unterstützen“. Vielleicht durch einen diesbezüglichen Leserbrief im Bonner General-Anzeiger bewogen, bat Dresen schon eine Woche später das Provinzialschulkollegium um „Wiederanbringung“ der auf dem Speicher gelagerten drei Kaiserbilder, zumal die augenblicklichen „weißgelblichen Glasflächen sehr hässlich“ wirkten. Die Genehmigung kam postwendend und schon am ersten Schultag nach den Osterferien blickten die Schüler wieder auf die drei Hohenzollern, allerdings insofern falsch rekonstruiert, als die beiden seitlichen Figuren, Friedrich III. und Wilhelm II., der mittleren, Wilhelm I., nunmehr den Rücken zukehrten. Nach Aussagen Ehemaliger sind die Schüler nicht allzu sehr beeindruckt gewesen.

 

Aus Juristenkreisen soll Dresen im April 1933 die Information bekommen haben, dem “schwarzen Beethoven-Gymnasium“ drohten durch die NSDAP Versetzungen und Entlassungen. Mit den Religionslehrern und drei anderen Kollegen kam Dresen insgeheim am 27. April 1933 überein, dass diese – als „Geste“ gegenüber den Machthabern – in die Partei eintreten sollten, um solche Übergriffe zu vermeiden und keine Einstellung überzeugter Nationalsozialisten zu provozieren. Am 29. April 1933 meldeten sich die drei Kollegen auf dem Parteibüro zum Eintritt in die NSDAP, kurz bevor die Parteilisten für längere Zeit geschlossen wurden. In der Tat wurde nur ein Kollege im Herbst 1933 nach Siegburg versetzt.

Nach übereinstimmenden Aussagen Ehemaliger gab es neben dem Hausmeister nur zwei bedingungslose Anhänger des Regimes. Das Gebot, die Stunde mit dem „deutschen Gruß“ zu beginnen, versuchte das Kollegium nach den Sommerferien 1933 mit einer einheitlichen Regelung zu befolgen: Zu Beginn grüßte die Klasse zuerst, zum Schluss der Lehrer. Allerdings fügten sich die Lehrer in sehr unterschiedlicher Weise: Manche bewegten kaum die Hand, andere nuschelten bis zur Unkenntlichkeit die Begrüßung, einige wenige achteten auf einen korrekten Gruß. Die meisten Lehrer passten sich nach außen hin an. Auch die als Gegner des Regimes vermuteten Kollegen verhielten sich vorsichtig genug, um sich nicht zu kompromittieren. Ein Ehemaliger führte als Beispiel seinen Geschichtslehrer an, der in freiem Vortrag seinen Stoff darbot und erst in den letzten drei Minuten das Buch aufschlug, um schnell die amtliche Version zur Kenntnis zu bringen. Kein Ehemaliger konnte sich an ernste politische Auseinandersetzungen im Unterricht erinnern.

Auf der Konferenz am 4. September 1934 hielt Dresen eine feierliche Gedenkrede auf den verstorbenen Reichspräsidenten Hindenburg, die das Kollegium „stehend“ entgegennahm, und leistete mit allen Kollegen den Diensteid auf den „Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler“. Trotz aller vorsichtigen Anpassung musste sich Dresen am 4. April 1935 von seinen Kollegen verabschieden und die Leitung des Aachener Kaiser-Karl-Gymnasiums übernehmen, was er immer als eine Strafversetzung empfunden hatte. Durch seinen Eintritt in die Partei 1937 konnte er dort schließlich verhindern, dass ein überzeugter Nationalsozialist ihn ablöste.

8.2 Ideologische Ausrichtung von Unterricht und Schulleben