5.1 Die Alten Sprachen im Mittelpunkt des Unterrichts und der Reifeprüfung
Am 1. Juli 1814 legten die verbliebenen Lehrer des Gymnasiums den Treueid auf den König von Preußen ab und begannen am gleichen Tag mit ihrem Unterricht in den Räumen des Schlosses, da im Gebäude der Bonngasse eine Ölmühle eingerichtet worden war. Nach der Inbesitznahme der Rheinlande durch Preußen wurde die Schule durch Ministerialerlass vom 4. Oktober 1816 Königlich Preußisches Gymnasium (126 Schüler). Am Ende einer langwierigen Suche, einen geeigneten Direktor zu finden, erhielt Nikolaus Jos. Biedermann am 18. Februar 1818 dieses Amt, das er bis zum 1. August 1846 innehatte. Im Herbst 1818 wurde die Schule wieder in das alte Gebäude in der Bonngasse verlegt, da das kurfürstliche Schloss die neue Universität beherbergte. Die Mittel mussten allein aus dem Gymnasialfonds bestritten werden, doch erst nach ca. 20 Jahren flossen die Erträge wieder in vollem Umfang, so dass der Unterhalt der Schule auf diesem Wege zunächst gesichert werden konnte. Das Schulgeld diente nur dem zur kurfürstlichen Zeit festgelegten Zweck: Heizung, Licht, Aufsicht im „Silentium“ und Anschaffung für die Sammlungen.
Die Schüler erhielten Unterricht in Religionslehre, Deutsch, Latein, Griechisch, Geschichte Erdkunde, Mathematik, Physik, Biologie, Schönschreiben und Zeichnen. Das Französische, nach den Befreiungskriegen zunächst verpönt, schließlich aber wegen „seiner Nützlichkeit für das weitere praktische Leben“, nicht aber wegen „der inneren Vortrefflichkeit und der bildenden Kraft“ dieser Sprache als „gymnasial“ anerkannt, erschien erst 1828 (allerdings drei Jahre vor der allgemeinen Zulassung in Preußen) auf dem Stundenplan der oberen Klassen des Bonner Gymnasiums, etwas später auch auf dem der Mittelstufe. Die alten Sprachen standen in allen Klassen mit der Hälfte der Stundenzahl ganz im Mittelpunkt, zunächst mit intensiven grammatischen Übungen, in der Oberstufe mit der Lektüre der klassischen Schriftsteller und Dichter. Französisch hingegen hatte bei der Versetzung und dem Abitur nur ein geringes Gewicht; der „untergeordnete Zweck des französischen Sprachunterrichts“ sei „während des sechsjährigen Kursus in den drei oberen Klassen durch zwei wöchentliche Lehrstunden ganz füglich zu erreichen“. Den freien Gebrauch dieser Sprache, den „unsinnigen Kultus des Französischsprechens“, sollte der Lehrer ohnehin meiden zugunsten der „formalen Geistesbildung durch grammatische Erkenntnisse der Denkgesetze“, d. h. das Französische in enger Anlehnung an die alten Sprachen und diese unterstützend lehren.
Unterrichtet wurde – im Sommer ab 7 Uhr, im Winter ab 8 Uhr – an allen Wochentagen vier Stunden vormittags und zwei Stunden nachmittags; mittwochs und samstags nachmittags hatten die Schüler frei. Das ehemalige „Silentium“ ersetzte Biedermann durch „häusliche Arbeiten“. Zur Feststellung der Zeugniszensuren dienten neben den schriftlichen Prüfungsarbeiten seit 1823 halbjährliche mündliche Prüfungen und eine öffentliche mündliche Prüfung.
Auf die Einhaltung eines „rechten Lebenswandels“ und „religiöser Vorschriften“ wurde streng geachtet. Sonntags morgens sowie mittwochs und freitags vor dem Unterricht führten die Lehrer ihre Schüler „zur Anhörung einer heiligen Messe in die Kirche“; in regelmäßigen Abständen von sechs Wochen war der „Beicht- und Kommuniontag“ angesetzt. Die Lehrer waren gehalten, durch den im Unterricht herrschenden Geist zur „religiösen“ Erziehung ihrer Schüler beizutragen; außerdem sollten sie durch ihren regelmäßigen Kirchgang den Schülern ein Vorbild sein. Den Eltern bedeutete der Schulleiter, die Bemühungen der Schule um eine richtige Erziehung zu unterstützen, was anscheinend nicht immer der Fall war.
Eine strenge „Hausordnung“, die auch die Teilnahme an der Messe zur Pflicht machte und unentschuldigte Versäumnisse unter Strafe stellte, sollte die Disziplin gewährleisten. Eine mehrtägige Karzerstrafe bei Wasser und Brot war keine Seltenheit. Verhältnismäßig oft entschieden sich die Lehrer für die Strafe des Ausschlusses; selbst Geldstrafen wurden ausgesprochen. Die Nähe der Universität verlangte von der Schule erhöhte Wachsamkeit, um bei den Schülern die Nachahmung studentischer Lebensformen (Wirtshausbesuche, Rauchen, Lärmen) zu verhindern, – was nicht immer gelang. Der Klassenlehrer sollte daher seine Schüler in ihrem Verhalten in der Öffentlichkeit überwachen, insbesondere die Auswärtigen, die „zu Kost und Logis“ in der Stadt wohnten und den Gefahren einer „liederlichen“ Lebensweise eher ausgesetzt waren.
Ostern 1819 fand die erste Reifeprüfung statt: Ein deutscher und ein lateinischer Aufsatz, eine Übersetzung aus dem Griechischen ins Lateinische mit lateinischen Erläuterungen, eine Übersetzung aus dem Deutschen ins Griechische und für künftige Theologen und Philologen eine hebräische Arbeit. Neben Einzelzensuren gab es eine Gesamtzensur: I. „Unbedingt tüchtig“; II. „Bedingt tüchtig“; III. „Untüchtig“. Bei dieser Zensur musste der künftige Student vor Studienbeginn erst eine Prüfung in den mit „mangelhaft“ beurteilten Fächern vor dem Königlichen Prüfungsausschuss der Universität bestehen.
Mit dem Abiturreglement von 1834 verschob sich der Schwerpunkt der schriftlichen Prüfungsarbeiten: An die Stelle der Übersetzung ins Griechische trat nun eine ins Lateinische; der fünfstündige lateinische Aufsatz über einen „dem Examinanden durch den Unterricht hinreichend bekannten Gegenstand“ blieb. Auch die 1837 verfügten Lehrpläne für das Gymnasium spiegelten die Vorherrschaft des Lateinischen gegenüber dem Griechischen wider. Als Vorübung bekamen die Primaner regelmäßig einen lateinischen Aufsatz als Hausaufgabe, der dann vom Lehrer nachzusehen und zu beurteilen war. Auch der Unterricht lief dabei Gefahr, weniger den Inhalt als die sprachlich vorbildliche Textstelle zu würdigen und nachzuahmen. Die Schriftsteller wurden, wie Ehemalige bemängelten, „pedantisch kleingehackt“; die Lehrer ergingen sich oft in „philologische Tüfteleien und Spielereien“.
In dem mittlerweile als „gymnasialfähig“ eingestuften Französischen wurde ein deutscher Text übersetzt. In Mathematik mussten zwei geometrische und zwei arithmetische Aufgaben gelöst werden. Zukünftige Theologen und Philologen übersetzten eine einfache hebräische Stelle aus dem Alten Testament ins Lateinische. Für alle Fächer reichte der Lehrer in der Regel drei Vorschläge ein, von denen die Schulaufsichtsbehörde einen auswählte.
Nach einer Revision der Abiturprüfungsordnung musste zwar wieder ein deutscher Text ins Griechische übersetzt werden, um die „Sicherheit des Abiturienten in der griechischen Formenlehre und Syntax zu überprüfen“, dafür entfielen aber die „mündlichen Prüfungen in Deutsch, Französisch, philosophischer Propädeutik, Naturbeschreibung und Physik“. Lt. Erlass von 1856 blieben die mündlichen Prüfungen auf die Unterrichtsfächer beschränkt, die den „sichersten Anhalt“ darboten, die Reife der Abiturienten „zu den Universitätsstudien zu beurtheilen, nämlich auf das Lateinische, das Griechische, die Mathematik, Geschichte und Religion“. In den Augen der Schüler genoss auch im Geschichtsunterricht „das Altertum übertriebene Wertschätzung“. Die Kenntnisse der Abiturienten wurden auf dem Zeugnis nun nicht mehr mit genauen Formulierungen umschrieben, sondern mit vier Prädikaten beurteilt: „Vorzüglich – Gut – Befriedigend – Nicht Befriedigend“ (wobei die Bestnote praktisch nicht existierte).
Wegen des Mangels an geeigneten Lehrkräften brauchte die Bonner Schule einige Zeit, um das erstrebte Leistungsniveau zu erreichen. Aber durch den Unterricht des seit 1820 lehrenden Ludwig Schopen, sowie durch die Tätigkeit von Rigler und dem späteren Provinzialschulrat Lucas in den alten Sprachen zählte die Schule schon ab 1825 „unstreitig zu den besten katholischen Gymnasien der Provinz“.
Das Bonner Gymnasium galt anfangs mit etwas über 200 meist katholischen Schülern als klein. Die Zahl sank zunächst noch, da die offizielle preußische Bildungspolitik die Leistungsanforderungen erhöhte und die Versetzungsbedingungen verschärfte, um eine „Überfüllung der Gymnasien“ abzuwehren. Außerdem gingen viele Schüler schon vor dem Abitur ab, denn die höhere Schule erfüllte die Funktion einer allgemein bildenden Stadtschule und der altsprachliche Unterricht der Oberstufe entsprach nicht unbedingt den Bedürfnissen der kaufmännisch-gewerblichen Schicht.
Das Bonner Gymnasium wurde zwar als „katholische Schule“ mit einem katholischen Schulleiter und katholischen Lehrern angesehen, doch seit den 40er Jahren nahmen die Schülerzahl und auch der evangelische Anteil an der Schülerschaft immer mehr zu. Vornehmlich Beamte, Gelehrte, vermögende Rentiers und gut situierte Bürger schickten ihre Kinder auf das Bonner Gymnasium.
Der Vormärz und die Märzrevolution 1848 brachten dem Gymnasium keine Unruhe ins Haus. Trotz der Nähe der Universität vermieden die Gymnasiasten und Lehrer Agitation und revolutionäre Umtriebe; es gab keine Schülervereine, weder Umzüge noch Beteiligung an einer Bürgerwehr.
5.2 Bewahrung der katholischen Tradition des Königlichen Gymnasiums