5.6 Leibesübungen in „Jahnscher Manier“: Der Gymnasial-Turnverein und der Gymnasial-Ruderverein

Nach dem Umzug in das neue Schulgebäude mit einer eigenen Turnhalle wurden erstmalig die Leibesübungen gepflegt: mit drei Wochenstunden für alle Klassen „bei günstiger Witterung auf dem Spielplatze, andernfalls in der Turnhalle [Ordnungs-, Frei- und Geräteübungen]“. Während der zwei Spielstunden im Sommer (als freiwilliger Veranstaltung) bevorzugten die oberen Klassen Fußball, Schlagball oder Tambourinball, während die kleineren Schüler sich für Lauf-, Fang- und leichtere Spiele begeisterten. „Auch die Schwimmübungen wurden stark betrieben“. „Turnmärsche“, Klassenausflüge und „Spaziergänge“ ergänzten den Unterricht in Leibesübungen.

Bis Ende des Jahrhunderts bevorzugten die Lehrpläne die „reglementierte“ Turnweise nach Adolf Spieß. Auf ein Kommando des Lehrers hin hatten alle Turner gleichzeitig und nach einem festgelegten Plan und mit Drill eine Teilbewegung an die andere zu setzen. Hierdurch sollten die „Kräfte der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses, des Gehorsams“ geschult, der „einzelne für das Ganze“ erzogen und die „Lust zur Unterordnung geweckt“ werden. Letztlich sollte der Wille über den Körper herrschen. Nur eine solche Argumentation hatte auch 1842 zu einer Aufhebung der Turnsperre in Preußen verholfen und die „Errichtung von Turnanstalten an den Höheren Schulen“ gefördert.

 

Die damaligen Schüler aber wollten in der neuen Turnhalle lieber turnen in „Jahnscher Manier“, in „freier Selbstgestaltung“ und in „eigener Verantwortung“. Mit Erlaubnis des hierfür anscheinend aufgeschlossenen Direktors Buschmann, gründeten im Winter 1891 30 Primaner und Sekundaner (Klassen 9 bis 13) den „Gymnasial-Turnverein“ (GTV), der zwar unter Aufsicht des Direktors stand, aber von den Schülern selbst verwaltet und gestaltet wurde: Ein Schüler plante und leitete selbstständig die wöchentlichen Übungsstunden. Neben dem Geräteturnen betrieb der Verein auch Sport und Spiel im Freien; beliebt waren Schlagball, Schleuderball, Fußball und Rudern. 1898 gründeten die Schüler sogar einen eigenen „Gymnasial-Spielverein“ für das Fußballspiel. Nach dem Ausscheiden der Ruder- und Fußballabteilung konzentrierte sich der GTV mehr auf das Turnen. Im Geiste der damaligen Jugendbewegung aus Liebe zur Natur und in bewusster Abwendung von der Stadt wurden in den Ferien Wanderungen – mit Laute und Rucksack – an Ahr und Mosel, in das Mittelgebirge oder sogar in den Thüringer- und Schwarzwald unternommen. Der GTV, so brachte es ein Ehemaliger auf eine kurze Formel, „lebte kräftig und bewußt sein eigenes Leben in und neben der Schule“. Die Mitgliederzahl schwankte zunächst sehr stark (im Durchschnitt 25), stieg aber dann nach 1905 auf 40, 1908 sogar auf 53 an.

 

Der akademische Ruderclub „Rhenus“ erklärte sich bereit, den Gymnasiasten der Ruderriege des GTV Boote zur Verfügung zu stellen und sie zu Ruderern und Steuermännern auszubilden. Am 15. Mai 1895 gründeten 15 Primaner und Sekundaner, durch eine großzügige Spende des Kaisers ermutigt, den „Gymnasial-Ruderverein“ (GRV), der sich ebenfalls – unter Aufsicht des Schulleiters und mit Unterstützung eines großen Teils des Lehrerkollegiums – selbst verwaltete und organisierte mit einem eigenen Vorstand aus Ruderwart, dessen Stellvertreter, Schriftwart, Kassenwart und dem für den ganzen Bootspark verantwortlichen Bootswart. Im Frühjahr 1899 bauten sich die Mitglieder (in der Regel zwischen 20 bis 30) ein eigenes Bootshaus in einem Kohlenschuppen an der unteren Rheinwerft. Im Sommer 1903 errichtete der GRV ein neues, ein Jahr später erweitertes Bootshaus auf einem von der Stadt gepachteten Grundstück in der Gronau. Durch eigene Leistungen und vor allem Spenden verfügte der Verein im Schuljahr 1907/08 über 11 Boote. Vier Mannschaften trainierten anfangs wöchentlich je zwei Stunden – später oft täglich (zur Sieg oder rheinaufwärts bis zur Insel Hammerstein) – und gaben sich eine eigene Rudertracht: glatte weiße Mütze, blau und weiß gestreiftes Trikot, blaue Hose mit blauem Gürtel, lange schwarze Strümpfe und Ruderschuhe. Die blau-weiß-blaue Fahne zierte ein roter Stern in weißem Feld.

Im stillen ersten Arm der Sieg, kurz vor der Mündung in den Rhein, wurden die Jungruderer des jeweiligen Sommers nach ihrer Bewährung im Frühherbst mit einer feierlichen Taufe in den Ruderstamm aufgenommen. Nach einer Belehrung durch den Ruderwart über die Pflichten eines Ruderers auf dem Rhein erhielten die Täuflinge 12 oder mehr Schläge mit dem Riemenblatt auf das Hinterteil und flogen dann in hohem Bogen in die Sieg. „Obmann“ konnte nur der werden, der nach einer längeren Ruderausbildung eine theoretische und praktische Prüfung ablegte. Als Höhepunkte des Ruderjahres empfanden die Schüler die Teilnahme an den Regatten und vor allem an den Wanderfahrten in den Pfingst- und Herbstferien.

Seit 1900 übte der „Altherren-Verband“ (AHV), dem fast jeder GRVer nach seinem Abitur beitrat, eine nachhaltige Wirkung auf den Zusammenhalt der Ehemaligen aus. Kamen sie in den Ferien oder zu Besuch nach Bonn, fanden sie sich schnell im Bootshaus ein, stiegen in eins der Boote oder besuchten den Stammtisch im Kölschlokal „Em decke Dume“ in der Rheingasse.

Auch während des Ersten Weltkrieges setzten beide Vereine ihre Aktivitäten fort, obwohl sich viele von den älteren Schülern zu Beginn freiwillig meldeten. Eine Ehrentafel auf dem Hohenfried bei Gemünd erinnerte an die im Krieg gefallenen Mitglieder des GTV.


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