7.7 Die neue Form des Deutschaufsatzes: „Anregende“ Themen, die aus dem „Mitteilungsbedürfnis der Schüler erwachsen“

Die Fachkonferenz Deutsch beschäftigte sich 1932/33 noch einmal intensiv mit den Problemen des Aufsatzes und der Themenstellung. Bei einer Visitation hatte der Oberschulrat zwar einen „guten Eindruck“ von den Arbeiten gewonnen und die „Korrekturarbeit der Herren Examinatoren in den Reifeprüfungsarbeiten“ gelobt, doch die Fachlehrer versuchten anschließend Lehren aus den wahrscheinlichen Gründen zu ziehen, mit denen die Behörde Themen als „ungeeignet“ zurückgewiesen hatte: Einige hätten die „Durchschnittsleistungsfähigkeit“ der Schüler überstiegen, andere wiederum wären zu weit oder zu unklar oder in der Problemstellung „irreführend“ gefasst worden. Eine eingehende Prüfung ergab, dass wohl eine Beanstandung bei einer „klareren Fassung der betroffenen Themen“ oder einer entsprechenden Erläuterung der unterrichtlichen Voraussetzungen ausgeblieben wäre.

 

Der Schulleiter hob in diesem Zusammenhang den Unterschied des neuen Aufsatzes zum früheren hervor. Dieser war seiner Meinung nach zu „reproduktiv“ und schloss sich zu eng an den im Unterricht bearbeiten Stoff an. Er sei „zu einseitig logisch-wissenschaftlich“ und setze zu spät ein. Diesem Aufsatz hätte man berechtigterweise zum Vorwurf gemacht, der Schüler schreibe über Dinge, die er nicht kenne, und gestalte „nicht Selbsterlebtes“. Dabei würde der Ausdruck nicht genügend gepflegt und der literarische Aufsatz zu sehr bevorzugt.

Bei der neuen Form des Aufsatzes müssten Themen, vor allem solche aus dem Alltag, gewählt werden, die „anregten“ und aus dem „Mitteilungsbedürfnis der Schüler“ erwüchsen. Der Schüler sollte einen Stoff wählen können, „den er durch eigenes Erleben, Handeln, Schauen, Denken und Fühlen (auch durch inneres Erleben) selbständig gewonnen“ hätte, um ihn dann „mit eigenen Sprachmitteln“ zu formen. „Produktiv nach Inhalt und Form“ müsse also der Aufsatz sein. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn jeder Schüler „selbst ein Thema“ wähle, das der „Sinnenwelt“ oder dem „eigenen inneren Erleben“ entnommen sei und sich „innerhalb des eigenen Verständnisses“ halte.

Die Fachkollegen wollten aber die freie Themenwahl in der Form beschränken, dass „von Zeit zu Zeit alle Schüler – im Sinne einer Selbstzucht – veranlaßt werden, ein vom Lehrer gestelltes dem Klassenstand entsprechendes Thema zu bearbeiten“. Auch literarische Themen betrachteten sie nach wie vor als „wertvoll“, nur sollten sie „auf alles Moralisieren“ verzichten, „sondern vielmehr den Hauptwert auf logisch-objektive Berichte legen“. Schließlich stimmten die Lehrer der Auffassung bei, beim deutschen Aufsatz sei es nicht die Aufgabe des Schülers, dass er „den Inhalt eines Themas objektiv erschöpfe“, sondern dass er das, „was er subjektiv darüber aussagen könne, in ausreichendem Maße und in geschmackvoller Weise zu Darstellung bringe“.                      

 

Bei der Auswahl der Lektüre versuchte 1932 der visitierende Vertreter des Berliner Unterrichtsministeriums die Deutschlehrer zu einer ausgiebigeren Unterrichtslektüre der „modernen Klassiker“ zu bewegen. Auch der Schulleiter ermunterte die Kollegen, die „Wichtigkeit und Bedeutung“ dieser Schriftsteller besonders für die augenblickliche Zeit nicht zu unterschätzen, zumal ihre Einführung bei den Schülern auf keinerlei Schwierigkeiten stoße. Allerdings konnten die Texte neuerer Literatur nicht so leicht beschafft werden. Es bestand außerdem ein erhebliches „Mißverhältnis zwischen den zur Verfügung stehenden Summen von der Stadt Bonn“ (für das städtische Gymnasium) und „der staatlichen Behörde“ (für das Beethoven-Gymnasium) für Lehr- und Lernmittel, da gerade für staatliche Anstalten die Gelder drastisch gekürzt worden waren. Aber auch die Deutschlehrer wollten die christlichen Schriftsteller zumindest als „Privatlektüre“ den Schülern besonders empfehlen.

 

Der Schulleiter resümierte am Ende der Konferenz, was als Motto für der Zeit der Umsetzung der Schulreform am Beethoven-Gymnasium stehen könnte: „Nicht das Neue unbesehen hinnehmen und vor allem die richtige Synthese wählen, das gute Alte mit dem guten Neuen vereinen“! In dem Spannungsfeld zwischen reformpädagogischen Bestrebungen und dem Bewahren traditioneller Inhalte und Methoden des humanistischen Gymnasiums wäre dem Beethoven-Gymnasium sicherlich diese Synthese gelungen, wenn nicht ab 1933 abrupt eine Erziehung zu einem „neuen [nationalsozialistischen] Geist“ durchgesetzt worden wäre.


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