10.2.1 Schulleiterwechsel und „Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe“

Erst mit dem neuen Schulleiter seit dem 8. Februar 1972, Dr. Manfred Seidler, selbst Englisch- und Deutschlehrer, wurden die entscheidenden Weichen gestellt (ohne jedoch die Bedeutung des Lateinbeginns herabzustufen), zumal der Kultusminister Englisch als Anfangssprache befürwortete. Seidler, in Königsberg geboren und aufgewachsen, hatte in Bonn Germanistik, Anglistik und Philosophie studiert und war seither Lehrer am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium gewesen. Als Mitbegründer der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Bonn arbeitete er 20 Jahre in ihrem Vorstand. Als Sprecher des Bensberger Kreises seit 1966 war er maßgeblich an der Abfassung des „Memorandums deutscher Katholiken zu den polnisch-deutschen Fragen“ beteiligt.

 

Mit dem Schuljahr 1972/73 begannen erstmalig am Beethoven-Gymnasium Jungen und Mädchen auch mit Englisch, wobei sie in der 7. Klasse die Wahl zwischen Latein oder Französisch haben sollten. Sechs Jahre später überwogen die „Englisch-Beginner“ und die Schülerzahlen hatten sich verdoppelt (1978/79: ca. 950). Der Schulleiter stellte im Sommer 1973 sogar die Idee eines englisch-bilingualen Zweiges für Klasse 7 bis 10 in den Raum, doch fand er damit keinen entscheidenden Widerhall im Kollegium, das wohl eine weitergehende Veränderung der altsprachlichen Tradition befürchtete.

 

In der Zeit der Einführung des neuen Schulleiters änderten sich ganz entscheidend die äußeren und schulischen Rahmenbedingungen des Beethoven-Gymnasiums, – in ermutigender Weise, aber auch mit ungewisser Perspektive. Mit der Fertigstellung der Untergrund-Straßenbahn und der Haltestelle „Juridicum“ vor dem Schuleingang hörten nicht nur die überaus störenden Lärmbelästigungen und Verkehrsbehinderungen auf. Das Beethoven-Gymnasium war nunmehr für alle abgehenden Grundschüler aus dem links- und gleichermaßen aus dem rechtsrheinischen Bonn – sowie darüber hinaus – gut erreichbar. Gleichzeitig begannen nach den Sommerferien 1972 die lang erwarteten Schallschutzmaßnahmen mit dem Einbau von Doppelfenstern zur Rheinseite hin (wegen der Lärm und starke Vibrationen erzeugenden Schleppschiffe). Damit einher gingen die Renovierung der Klassenräume und die Verbesserung der Lichtverhältnisse durch eine neue Beleuchtung. Die eigentlich für 1973 vorgesehene Übernahme des staatlichen Beethoven-Gymnasiums durch die Stadt verschob sich allerdings auf den 1. Januar 1974.

 

Aber der Dienstantritt des neuen Schulleiters und die erstmalige Möglichkeit einer Sprachenwahl in der Eingangsklasse (Latein/Englisch) waren von der einschneidendsten Umgestaltung des höheren Schulwesens Humboldtscher Prägung begleitet: Die „Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sek. II“ (7. Juli 1972) leitete das Ende der verschiednen Schultypen ein (mit Unterricht im Klassenverband bis zum Abitur) zu Gunsten einer enttypisierten Oberstufe mit einem Kurssystem, in dem die Schüler unter Beachtung bestimmter Pflichtvorgaben – gemäß ihren Neigungs- und Begabungsschwerpunkten ihre Schullaufbahn selbst wählen und damit auch ihren Stundenplan festlegen konnten. Um trotz individueller Optionen eine allgemeine Grundbildung und die Studierfähigkeit zu gewährleisten, mussten die Schüler zwei (fünf- bis sechsstündige) Leistungskurse, die eine vertiefte wissenschaftspropädeutische Arbeitsweise und erweiterte Kenntnisse vermitteln sollten, sowie eine vorgegebene Anzahl von (dreistündigen) Grundkursen belegen. Hierbei gab es gewisse Beschränkungen bei der Auswahl, Anzahl und Kombination der Kurse aus drei Aufgabenfeldern zu beachten, die den bisherigen und erweiterten Kanon nunmehr gleichwertiger Fächer umfassten: aus dem sprachlich-literarisch-künstlerischen, dem gesellschaftswissenschaftlichen und dem mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Aufgabenfeld (ergänzt durch Religionslehre und Sport). Dadurch ließen sich grundlegende Einsichten in fachspezifische Denkweisen und Methoden exemplarisch gewinnen.

Die Leistungen in der Qualifikationsphase (in den Stufen 12/13) gingen zu zwei Dritteln in die Gesamtnote ein und wurden nach einem sehr differenzierten Punktsystem (0 – 15 Punkte für „ungenügend“ bis „sehr gut plus“) bewertet. Das Abitur reduzierte sich nicht mehr auf eine Abschlussprüfung, sondern ging – einschließlich der Abiturfächer im zweiten Halbjahr der Stufe 13 – mit unterschiedlicher Gewichtung der Kurse zu einem Drittel in die Gesamtqualifikation ein. Gleichwohl musste die Reifeprüfung unabhängig von den bis dahin erbrachten Ergebnissen als eigenständige Leistung bestanden werden. Die Schüler wurden in den beiden Leistungskursen und einem vorher festgelegten Grundkurs schriftlich (bei Abweichungen von der Durchschnittsnote auch mündlich) und in einem vierten Grundkurs nur mündlich geprüft, wobei die Prüfungskommissionen nicht aus dem Gesamtkollegium, sondern aus drei/vier Fachkollegen bestanden.

10.2.2 Die „300-Jahr-Feier“ 1973: Rückbesinnung auf die Übernahme des Gymnasiums durch die Jesuiten