10.2.4 Das Kurssystem des Beethoven-Gymnasiums: Stabile Oberstufenstruktur mit Schwerpunkt auf den traditionellen Kernfächern

Schränkte einerseits der in der 70er Jahren herrschende Lehrermangel (besonders in den musischen und naturwissenschaftlichen Fächern) das Kursangebot des Beethoven-Gymnasiums ein, so wies auch die eindeutige Festlegung der Sprachenfolge auf drei Fremdsprachen in Sek. I (bei nur zwei Alternativen: Anfangssprache, 3. Fremdsprache) die Schülerinnen und Schüler schon bei der Wahl der Oberstufenkurse auf die traditionellen Kernfächer hin, wozu seit jeher die Mathematik als unabdingbare Ergänzung humanistischer Bildung gehörte. Daher konnten sie, trotz der anfänglichen geringen Schülerzahl (1975 in 11,1 nur 61, 1976   41 und 1977 gar 37(!) Schülerinnen und Schüler), bei den zwei (fünfstündigen) Leistungskursen – unter Beachtung gesetzlicher Vorgaben – immerhin oder zunächst nur wählen zwischen Deutsch, Mathematik, Latein, Griechisch, Französisch, Biologie/Chemie als Kombinationskurs und Geschichte (Kunst oder Musik als Zentralkurs in einem anderen Bonner Gymnasium), so dass eine Zersplitterung des Angebots unterblieb und die Studierfähigkeit gewahrt blieb. Der Kombinationskurs erwies sich allerdings als nicht praktikabel und lief 1980 aus, so dass ab 1978 alle drei Naturwissenschaften als Leistungskurse angeboten wurden (bei Chemie häufig in Kooperation mit einem anderen Gymnasium). Die Abiturientia 1976 – mit 6 Altsprachlern, 17 weiteren mit Latein als Abiturfach und 19 Neusprachlern – bestand die letzte Reifeprüfung des typengebundenen Gymnasiums. 1977 legte der erste Jahrgang (darunter 4 Mädchen) das Abitur unter den Bedingungen der Reformierten Oberstufe ab.

 

Die Präferenzen bei den Leistungskurswahlen 1977 bis 1981 lagen eindeutig bei Biologie, Geschichte, Mathematik und Englisch; ein Leistungskurs Latein wechselte jeweils mit einem LK Griechisch ab, der (mindestens bis Ende der Stufe 12) – im „Huckepack-Verfahren“ – zusammen mit dem dreistündigen Grundkurs Griechisch angeboten wurde, damit auch diese Schüler ihr „Graecum“ erhielten und die Fremdsprachenbedingen abdeckten. Als neue Fächer im Grundkursbereich der Stufe 11 kamen Italienisch und ab 1979 Sozialwissenschaften hinzu. Als 3./4. Abiturfach überwogen 1977 bis 1980 mit Abstand Biologie, Deutsch und Erdkunde, während die Fremdsprachen sowie die wegen der geringen Vorkenntnisse als schwierig eingeschätzten Chemie und Physik wenig gewählt wurden; Religion und Sport zeigten keine auffallenden Zahlen. Durch die Sportdifferenzierung konnten die Schülerinnen und Schüler Basketball, Volleyball, Fußball, Turnen, Leichtathletik, Schwimmen oder Rudern belegen; für Mädchen wurden eigene Kurse in Gymnastik und Volleyball eingerichtet. Da sich ab 1978 die Schülerzahl in 11,1 auf über 100 erhöhte und ab Schuljahr 1980/81 für etliche Jahre die Oberstufe ca. 330 bis 360 Schülerinnen und Schüler umfasste, konnten sehr viele Wahl- bzw. Kombinationsmöglichkeiten angeboten werden, allerdings bei einer immer komplizierter werdenden Planung und Organisation.

 

Jedoch sollten im Kernbereich der Schullaufbahnen eine häufige Zu- und Abwahl vermieden und eine gewisse Kontinuität der Lerngruppe und der Lehrer erreicht werden, die sonst durch die Auflösung des Klassenverbandes verloren gegangen wäre: In Kenntnis der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer in der Qualifikationsphase wählten die Schüler schon am Ende der Klasse 10 ihre Leistungskurse, die zwar in   11,1 als dreistündige Grundkurse geführt wurden, aber noch eine zweistündige Ergänzung erhielten, so dass beide – ohne Änderung des Stundenrasters – in 11,2   in den fünfstündigen Leistungskurs übergingen. Die Schülerinnen und Schüler erhielten zwar die Möglichkeit des Wechselns, machten aber davon wenig Gebrauch. Auch bei den parallel liegenden Grundkursen in den Kernfächern Deutsch und Mathematik gab es offene Optionen.

So blieben in der Regel die meisten Teilnehmer bei der Hälfte ihrer Kurse drei Jahre lang im gleichen Kurs mit den ihnen bekannten Lehrerinnen und Lehrern. Das Beethoven-Gymnasium bewahrte sich dadurch eine sehr stabile Oberstufenstruktur mit guten pädagogischen Bezügen, die durchaus den Fortfall der Klassenverbände kompensierten, aber auch deren nachteilige Sozialstrukturen vermieden. Die Studienfahrten zu Beginn der 13 wurden ebenfalls über einzelne Leistungskurse vorbereitet und organisiert, deren Kursleiter fachimmanente Ziele und Programme den Schülern anboten, denen dann manchmal sogar Alternativen zur Wahl standen.

 

Im Schuljahr 1982/83 zog die Schule eine erste Bilanz aus den Erfahrungen mit der bisherigen Umsetzung der Oberstufenreform und entdeckte, allen harschen Unkenrufen zum Trotz, auch eine Reihe positiver Auswirkungen, nachdem nun der Umgang mit den anfänglichen organisatorischen Schwierigkeiten sicherer geworden war und mit den neuen Richtlinien die Unterrichtsinhalte einen verbindlichen Charakter erhalten hatten. Die Möglichkeit der Fächerwahl beurteilten die Schülerinnen und Schüler überwiegend als gut. Sie bestimmten ihre Kurse nach Interesse, Studienabsicht, und der Möglichkeit einer guten Note, denn dem Druck des Numerus Clausus konnte kaum jemand ausweichen. Bei der Vorbereitung auf die Oberstufe erschien die Mittelstufenarbeit, genügend Fachwissen bereit zu stellen, in weniger günstigem Licht. Die Gleichwertigkeit der mündlichen und schriftlichen Leistung wurde begrüßt, der hervorgehobene Wert der „sonstigen Mitarbeit“ als sinnvoll erachtet. Die Auflösung des alten Klassenverbandes fand weniger Kritik als erwartet, vielmehr freute man sich auf „neue Freunde“ und „neue Chancen“ in jeweils anderen Kursbesetzungen.

Nur die vielen in Kauf zu nehmenden Springstunden, wenn die Schule den Wünschen der Schülerinnen und Schüler möglichst weit entgegenkommen wollte, fanden wenig Anklang. Denn die Zeit sinnvoll für die Schule zu nutzen, konnte oder wollte man (noch) nicht „lernen“. Der Aufenthaltsraum für die Oberstufe sowie das nebenan eingerichtete Selbst-Café „Chez Lu“ oder das nahe gelegene Café an der Adenauerallee konnten den „Leerlauf“ überbrücken helfen. Kaffeetrinken innerhalb einzelner Kurse (zu besonderen Anlässen mit Kuchen) förderte die Lernatmosphäre. Seit 1980 erschien dem Schulleiter der „Kaffee in der Schule das unmißverständliche Indiz für die funktionierende differenzierte Oberstufe und Zeichen der Wohlbefindlichkeit in ihr“. 1983 resümierte Seidler schmunzelnd: „Man lebt gesellig miteinander im Haus. Unser Haus ähnelt dem Zuhause. Gut so! Gut so?“

 

Die Abwahlmöglichkeiten in Sprachen und Mathematik bzw. ihrer Schriftlichkeit während der Qualifikationsphase hatte zwar manchem die Abschlussprüfung erleichtert, aber die klare Schwerpunktsetzung im Angebot der Leistungskurse hatte ein „Billigabitur“ verhindert. 1982 und 1983 konnte in Biologie, Geschichte und Englisch, 1982 in Mathematik und Deutsch zwischen je zwei Leistungskursen dieser Fächer gewählt werden. Auch in Französisch gab es immer einen gut gefüllten Kurs, während Latein und Griechisch sich abwechselten. Kritik übte die Schule an der zu leichten Versetzung von 11 nach 12, an dem Missverhältnis der Gewichtung der Grundkurse gegenüber den Leistungskursen (1 : 3) und der Leistungen der vier Abiturfächer (76 %) gegenüber den Nichtabiturfächern bei der Abiturnote. Auch die Regelung der zusätzlichen Pflichtkurse in den Gesellschaftswissenschaften wurde als zu kompliziert erachtet.

 

Die Einstellung der Abiturienten zu ihrer Entlassfeier hatte sich mittlerweile wieder geändert („normalisiert“). Von 1968 bis 1971 händigte die Schulsekretärin das Zeugnis gegen Quittung aus; 1972 „dekretierte“ Seidler die Übergabe im Aulafoyer mit Eltern – im Stehen; 1973 lud die Abiturientia – nach interner Abstimmung – zu Gottesdienst, Zeugnisübergabe und Sekt im Aulafoyer ein – im Stehen; 1974 war „das Provisorium etabliert: Foyer – Reden – Zeugnisse – Sekt“; 1975 wurde das Provisorium „feierlich“: Stuhlreihen standen im Halbkreis, um nunmehr längere Reden anzuhören; 1976 Entlassung in der Aula (!) mit „Flöte und Geige“ und anschließend Sekt vor der Aulatür. 1977 lehnte die Abiturientia die Aula ab, alle saßen wieder auf Stühlen im Foyer, der Jahrgangssprecher kritisierte die „Anonymität“, den „Leistungszwang“ und „Konkurrenzneid“ in der neuen Differenzierung, obwohl vorher der Schulleiter „das Gegenteil gesagt“ hatte; auf den Sekt folgte die „Entlassung“. 1978 entschied einfach die Schule: Sie entließ die Abiturientia in der Aula; niemand wehrte sich, aber jeder kam gekleidet, wie er wollte. Es „gab Musik, Reden, Zeugnisse, wieder Musik!“ Nunmehr hatte man sich an die Aula als Ort der „feierlichen“ Entlassung gewöhnt und die Abiturientinnen und Abiturienten versuchten zunehmend dem „feierlichen“ Rahmen Geschmack abzugewinnen. 1984 verabschiedete sich die Abiturientia „von sich selbst“ mit einem „abwechslungsreichen Programm – Für Ludwig“, während 18 Solisten aus ihren Reihen „ein höchst lebendiges kammermusikalisches Programm“ darboten. Einen Tag später entließ Seidler seine letzte Abiturientia und überreichte ihr in der Aula die Zeugnisse.

10.2.5 Einführung des Fachraumsystems: Schüler gehen zum Lehrer