Seit dem Beginn der 80er Jahre bereitete es den Eltern zunehmend Sorge, dass das Abitur nicht mehr automatisch den Weg zum Studium und erst recht nicht später zu dem gewünschten Beruf eröffnete. Eine Banklehre oder ein außeruniversitärer Ausbildungsgang war keine Seltenheit mehr. Auch die klassischen akademischen Berufe hatten sich vielfältig differenziert, neue Berufsfelder boten sich an, von denen die meisten Abiturienten überhaupt noch nicht Kenntnis genommen hatten. Den Eltern erschien es wünschenswert, die Frage der Berufswahl frühzeitig und sorgfältig anzugehen. Mit Unterstützung der Schule griffen sie im Juni 1984 zur Selbsthilfe und boten an zwei Nachmittagen für die Stufen 11/12 jeweils 17 verschiedene Berufe in kleinen Einführungsreferaten mit anschließender Befragung an, wobei die akademischen Berufe überwogen. Diejenigen, die die Gelegenheit genutzt hatten, ließen sich interessiert beraten und lobten die Veranstaltung.
Damit war von Elternseite und einem Teil des Kollegiums eine Diskussion über eine zukünftige Berufsberatung in Gang gekommen, die automatisch zu der Frage führte, ob nicht auch am Gymnasium (wie an Haupt-, Real- und Gesamtschulen) ein Betriebspraktikum der Berufswahlvorbereitung in der Oberstufe förderlich sei (von drei Tagen in den Ferien gingen erste Überlegungen aus). Im Kollegium wurde ein solches Praktikum nicht von allen als eine Bereicherung des gymnasialen Schulprogramms angesehen. Die Mehrarbeit für Aufsicht und Betreuung sei zu groß und der Ausfall von soviel Unterricht – neben den vielen anderen außerunterrichtlichen Tätigkeiten – nicht zu verantworten.
Der neue Schulleiter, der in seiner ehemaligen Schule ein bereits funktionierendes System der Berufswahlvorbereitung eingeführt hatte, konnte viele Bedenken entkräften und die entscheidenden Schritte für ein Praktikum einleiten. Eine Umfrage in der Stufe 11 ergab eine Zustimmung von über 90%, die den erweiterten Arbeitskreis „Berufsorientierung“ beflügelte und schließlich zu einem Beschluss der Schulkonferenz 1985 führte, Ende Januar 1986 ein viereinhalb- tägiges Betriebspraktikum in der Stufe 12 durchzuführen. Die meisten Stellen fanden sich durch Eigeninitiative, der Rest durch Vermittlung von Elternseite. Acht der in der Stufe unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrer erklärten sich bereit, jeweils eine nach möglichst homogenen Berufsarten zusammengefasste Gruppe (z. B. Kindergärten/Schule; Handel/Dienstleistung; Handwerk/Industrie; Universität/Krankenhaus; Verwaltung; Zeitung/Theater; Mathematik/Technik/Datenverarbeitung; Banken/Sparkassen/Versicherungen) zu übernehmen, in das Praktikum vorher einzuführen, die Teilnehmer währenddessen zu betreuen und mit einem Erfahrungsbericht die Nachbereitung vorzunehmen. Eine Mitarbeiterin der Berufsberatung leitete das ganze Verfahren mit einer ausführlichen Information für die Gruppen ein, ein Besuch des Berufsinformationszentrums, das einen Einblick in alle Berufe gewährte und auch Eignungstests anbot, war jeweils eingeplant.
Planung und Durchführung eines solchen Praktikums bedeutete für die Beteiligten ein erhebliches Maß an Überstunden. Manchen erschien es zweifelhaft, ob der tatsächlich geleistete Aufwand im entsprechenden Verhältnis zum Ergebnis stehe. 142 Schülerinnen und Schüler sollten in den Betrieben besucht werden, weniger der Kontrolle wegen, sondern um persönliche Verbindungen zu den Betrieben aufzunehmen und Gespräche über Vorstellungen und Probleme von deren Seite anzuhören. Der Gewinn allerdings war beidseitig groß: die Kenntnis beruflicher Realität und des Arbeitsalltags für den Schonraum Schule und der Einblick in die Unterrichtsziele und -abläufe für die Betriebe. Außerdem waren die Betreuer wichtige Ansprechpartner für die Praktikanten bei der oft ungewohnten Arbeit. Wenn auch nicht alle ihre Arbeit als zusätzlichen Gewinn betrachteten, so konnten doch die allermeisten über die Bemühungen an Ort und Stelle berichten, einen Einblick in den Beruf und die Betriebsabläufe zu geben.
Obwohl sich für Einzelne die Erfahrung mit der Beschäftigung als eher abschreckend erwies, war die Schülerreaktion insgesamt wider Erwarten sehr positiv. Sie fühlten sich nachher motiviert, genauere Informationen über eventuelle Berufsmöglichkeiten einzuholen; nicht wenige hielten sich in ihren Neigungen und Fähigkeiten bestärkt. Einhellig ergab die anschließende Befragung: grundsätzliche Einführung des Betriebspraktikums für den Jahrgang 12, – aber zwei volle Wochen (was auch von den Betrieben so gefordert worden war). Die abschließenden Praktikumsberichte sollten nicht nur der Selbstreflexion dienen, sondern auch den nachfolgenden Jahrgängen eine Information über Auswahl und Ablauf des Praktikums und über die jeweilige Berufssparte geben. Lehrer- und Schulkonferenz schlossen sich der positiven Wertung des ersten Durchlaufs an und beschlossen für die Zukunft ein zweiwöchiges Betriebspraktikum für die Stufe 12 jeweils zwischen dem ersten und zweiten Halbjahr. Der von der Schule verfasste ausführliche Bericht wurde von der Behörde in Bezug auf Planung und Durchführung als vorbildlich gelobt. Seither hat das Praktikum, dessen Sinnhaftigkeit unbestritten ist, seinen festen Platz im Schulprogramm eingenommen.