Anlässlich der obligatorischen Einführung der neuen Richtlinien Sek I zum Schuljahr 1995/96 (bis zum 15. September 1995 mussten die schulinternen Curricula beim Dezernenten sein) versuchte der Schulleiter die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass diese Richtlinien erstmalig wieder den Erziehungsauftrag der Schule betonten und sich damit einer Aufgabe zuwandten, die über zwei Jahrzehnte lang geradezu verpönt war. In das zukünftige Schulprogramm sollten Erziehungsziele Eingang finden, die zuvor von Eltern-, Lehrer- und Schülerschaft diskutiert und dann festgelegt würden.
In diesem Zusammenhang kam aus dem Kollegium der Vorschlag, sich des Problems der zunehmenden Gewalt an Schulen anzunehmen und ebenfalls in einer schulinternen Fortbildung zu behandeln. Ein solches Thema brauchte aber eine zeitlich sehr intensive Vorarbeit und vor allem einen Bezug zu konkreten Vorfällen an der eigenen Schule. Man beschloss daher, das Problem kollegiumsintern mit einem Arbeitskreis „Gewaltprävention“ anzugehen, und begann Ende 1995 mit einer Fragebogenaktion, an der sich über die Hälfte des Kollegiums und die meisten Schülerinnen und Schüler beteiligten.
Alle Rückläufe aus der Lehrerschaft machten auf die Wahrnehmung von Gewalt auch auf dem Beethoven-Gymnasium aufmerksam, wobei es sich vornehmlich um verbale Gewalt handelte. Viele brachten eine unterschwellige Belastung durch dieses Phänomen zum Ausdruck. Von Schülerseite wies besonders die Unterstufe auf physische Gewalt hin, während alle Jahrgangsstufen – ebenso wie die Unterrichtenden – die zunehmende verbale (auch von Lehrern ausgeübte) Gewalt auffiel. In der offensichtlich „zu geringen Kommunikationsfähigkeit“ zwischen den Jugendlichen sahen sie die Hauptursache. Die Schwelle für verbale Gewalt, so ergab die Diskussion auf der Konferenz vom 14. Februar 1996, werde zwar subjektiv unterschiedlich empfunden, doch sollte man als Lehrer immer dann einschreiten, wenn verbale Gewalt gezielt als Angriff eingesetzt würde. Um den Jugendlichen aber verbale Gewalt bewusst zu machen, müssten ihre kommunikativen Kompetenzen erhöht werden. Die Anwendung von Gewalt, so das allgemeine Fazit, sei immer auch als „Hilferuf“ zu werten, daraus folge für die Lehrerrinnen und Lehrer: hinschauen, nicht wegsehen; schon die Anwesenheit wirke präventiv.
Schließlich einigte man sich im Kollegium, Streitschlichtungsmodelle zu erkunden, in denen Schülerinnen und Schüler eine tragende Rolle spielten und auch als Streit schlichtende Instanz anerkannt würden. Eine Tagung wurde hierfür ins Auge gefasst, auf der sich Konzepte zusammen mit der SV und dem Schülerrat entwickeln ließen. Nach mehrmaligen Sitzungen entschied sich der Arbeitskreis „Gewaltprävention“ für das Modell von Braun/Hünicke zur Streitschlichtung zwischen Schülern: Der Konfliktschlichter (Mediator) begleitet die Streitparteien bei der Lösungsfindung; er schlichtet nicht selbst noch bewertet er das Verhalten der Kontrahenten und verhängt auch keine Sanktionen. Seine Aufgabe ist es lediglich, eine gefundene Lösung festzuhalten. Die Mediatoren müssen lernen, durch aktives Zuhören („neutrale“ Intervention) „Konflikte zu analysieren und eigenes Verhalten zu reflektieren“. Die Kontrahenten müssen lernen, ihren eigenen Anteil an dem jeweiligen Streit zu sehen und zuzugeben, Verständnis für das Verhalten des anderen aufzubringen, Lösungen für das Problem zu finden und sich am Ende an Absprachen zu halten, die streng vertraulich behandelt werden.
Im Schuljahr 1996/97 bereiteten sich ca. 10 Vertreter der Klassen 9/10 in einem Mediatorenkurs (ca. 15 Doppelstunden nachmittags etwa 4 -5 Monate) mit den Betreuungslehrerinnen und -lehrern auf ihre Tätigkeit vor. Die Konfliktschlichtung war zunächst auf die Unterstufe beschränkt. Nach der Benachrichtigung der Eltern wurden die Klassen in ca. drei Unterrichtsstunden durch die Mediatoren und ihre Betreuer vorbereitet. Die Beteiligung an einem Gespräch war freiwillig, sollte aber in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang (i. d. R. in den großen Pausen) mit dem Konflikt stehen. Mehrmals wurde der Erprobungsstufe nahe gelegt, sich im Bedarfsfall sofort an die Streitschlichter zu wenden (in dringenden Fällen konnten sie auch aus dem Unterricht geholt werden), die sogar einen eigenen Raum zugewiesen bekamen. Dort konnten sie mit den Kontrahenten sprechen und auf eine Schlichtung hinarbeiten; das gemeinsame Protokoll über deren Ergebnis musste von allen unterschrieben und somit anerkannt werden. Im Schuljahr 1997/98 startete die neue Form der Streitschlichtung – zunächst noch zögerlich, da eine friedliche und rationale Regelung unter Jugendlichen noch zu ungewohnt war.