11.17.2 Umsetzung der neuen Richtlinien Sekundarstufe II

In der zweiten Hälfte der 90er Jahre begann das Ministerium wieder, die Oberstufe verstärkt zu einer „Baustelle“ zu machen. 1996 arbeiteten Vorkommissionen mit Hochdruck an neuen „Richtlinien für die Sekundarstufe II“ (Sek II), die sich in ihrer Struktur den Richtlinien Sek I angleichen und zum 1. August 1999 in Kraft treten sollten. Es blieben die von der Kultusministerkonferenz vorgegebenen Rahmenbedingungen: drei Aufgabenbereiche mit Pflichtbelegungen, Gleichwertigkeit der Fächer mit Leistungs- und Grundkursen. Als Neuheit zeichnete sich ab: Leistungskurse erst ab Stufe 12 und als „verschärfende“ Einschränkung keine Abwahl von Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache bis 13,2. Um die Studierfähigkeit und Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler zu erhöhen, dachte man an größere Anteile von fachübergreifendem und selbsttätigem Arbeiten in der Stufe 12/13:

  • Heranführen an Arbeitsformen, die zur Behandlung komplexer Aufgabenstellungen nötig“ seien (z. B. Arbeiten in Gruppen, Referate, Recherchen, Lektüre größerer Werke);
  • Herausarbeiten fachübergreifender und fächerverbindender Ansätze“;
  • Berücksichtigen von „besonderen Lernleistungen“ (z. B. Wettbewerbe, Jahresarbeit, Informatik, Technik, Kunst, Musik);
  • Konzentration der Inhalte auf das Wesentliche, um Freiräume für selbstständiges Arbeiten zu schaffen“.

 

Anfang 1999 waren die endgültigen Bestimmungen bekannt: Unter Beibehaltung der Grundstruktur (Einführungsphase in 11, Qualifikationsphase 12/13, Grund- und Leistungskurse, Zuordnung der Fächer zu den drei Aufgabenfeldern, individuelle Schwerpunktbildung) gab es nunmehr keinen Wechsel mehr der Kursstruktur in Stufe 11 (alle Kurse dreistündig durchgehend in 11 – eine Erleichterung für die Unterrichtsverteilung!), nur die neu einsetzende Fremdsprache war bis 13,2 vierstündig (damit sie in 12,1 eine fortgesetzte Fremdsprache ersetzen konnte); die Versetzungsbestimmungen nach 12 waren (leicht) erschwert; das Latinum war am Ende von 11,2 erreichbar. Die Leistungskurse in 12/13 reduzierten sich (nach dem schon immer praktizierten Modell des Beethoven-Gymnasiums) auf fünf Stunden; Deutsch, Mathematik und eine Fremdsprache mussten schriftlich bis Ende 13,2 genommen werden (die bisherige Möglichkeit der Abwahl eines dieser Fächer in 13 war am Beethoven-Gymnasium bisher schon eine Ausnahme). Eine Rückkehr zur Pflichtbelegung alter Kernfächer und die starke Reduzierung der Wahlfreiheit waren unverkennbar.

Eine verpflichtende „Facharbeit“ (Ersatz für eine Klausur) in Stufe 12 ermöglichte selbstständiges, wissenschaftspropädeutisches Arbeiten. Die Schule durfte auch die Teilnahme an einer fachübergreifenden „Projektarbeit“ anbieten, ebenso zur Profilbildung sog, „Koppelkurse“ (z. B. Geschichte/Französisch) mit fächerverbindenden Themen einrichten. Eine „besondere Lernleistung“ konnte in die Abiturwertung eingebracht werden. Sport im Abitur gab es nur noch an Schulen mit dieser Schwerpunktbildung und den entsprechenden technischen Voraussetzungen. Die Gesamtpunktzahlen und die Berechnung der Durchschnittsnote mussten schließlich den geänderten Bestimmungen angepasst werden.

 

Die inhaltliche Ausgestaltung der neuen Bestimmungen konnte noch in das fast fertige Schulprogramm eingearbeitet werden. Zur Qualitätssicherung dienten Parallelarbeiten als letzte Klausur in Stufe 11 in parallel liegenden Kursen (Deutsch, Mathematik, Englisch, evtl. Biologie, Religion und Philosophie). Über die Erfahrungen mit der Zweitkorrektur im Abitur sollte jeweils ein Bericht angefertigt werden, doch ein positiver Effekt im Sinne einer Qualitätssteigerung konnte vom Kollegium in diesem Instrument nicht gesehen werden.

Für die neuartige Facharbeit, auf deren wissenschaftspropädeutischen Charakter das Beethoven-Gymnasium besonderen Wert legen wollte, arbeitete eine Kommission genaue Richtlinien aus, die von allen ab 2000 einzuhalten waren. Es galt zunächst freie Themenwahl, wobei jeder Fachlehrer in seinem Kurs ein bestimmtes Themenangebot vorgeben sollte, damit weder er selbst noch die Schülerinnen und Schüler zeitlich überfordert würden. Da das Kollegium die maximale Anzahl pro Kurs auf fünf Facharbeiten festlegte, war bei der Wahl auch ein Ersatzkurs zu nennen. Die Arbeit durfte den Umfang von 5000 Wörtern nicht überschreiten. Die üblichen formalen äußeren Anforderungen und die für eine wissenschaftliche Arbeitsweise notwendige Vorgehensweise lagen in einer genauen Übersicht vor. Auch die Beurteilungskriterien (Formalia, inhaltliche Darstellung, wissenschaftliche Arbeitsweise, Ertrag der Arbeit) waren für Schüler und Fachlehrer nach einem einheitlichen Muster transparent gemacht worden. Ein genauer Terminplan war einzuhalten (nach den Herbstferien in 12,1 Themen und Quellensuche, ab November Festlegung des Kurses und des endgültigen Themas, Mitte Februar in 12,2 Beginn der Arbeit, Ende März kurze Darstellung über den Stand der Arbeit beim Fachlehrer, Ende April definitive Abgabe). Eine Kurzpräsentation konnte nach Rückgabe im Kurs abgesprochen werden. Die Facharbeit ersetzte die erste Klausur in 12,2.

Bei einer Auswertung des ersten Durchgangs begrüßten die Schülerinnen und Schüler zwar die Möglichkeit der freien Themenwahl, fanden aber die Vorbereitung für diese neuartige Arbeitsform im formalen und methodischen Bereich zu kurz. Auch seien die Relation von Aufwand und Note im Vergleich zu den Klausuren zu hoch und der Zeitrahmen zu lang, da sich viele doch erst sehr spät „an die Arbeit machten“. Von Lehrerseite wurden zwar die starke zeitliche Belastung und der Aufwand bei der Verifizierung der wissenschaftlichen Aussagen beklagt (der allzu sorglose Umgang mit dem geistigen Eigentum anderer sollte ja selbst in Doktorarbeiten vorkommen), gleichwohl zog man eine durchweg positive Bilanz, – die im Jahresbericht 2001 veröffentlichten Auszüge (S. 21 – 33) geben darüber ein beredtes Beispiel. Für die Zukunft wurde auch ein zweiter Beratungstermin eingebaut, um die Steuerung durch den Fachlehrer zu erleichtern. Ein gemeinsamer Beschluss des Kollegiums verlegte den Zeitraum der Bearbeitung auf 12,1.

 

Ansonsten wurden die schon lange in der Oberstufe praktizierten Projekte in dem Schulprogramm fortgeschrieben: u. a. das sich seit 15 Jahren bewährte „Betriebspraktikum“ in 12, das „Studienfahrtenprogramm“ in 13, die „Tage der Naturwissenschaften“ in der Stufe 11:

  1. Epileptologie und Hirnforschung an der Klinik für Epileptologie und im Institut für Neuropathologie: Von den sechs Themenbereichen konnte jeder vier auswählen (Klinik, Zelluläre Hirnfunktion, Komplexe Hirnfunktion, Neuropsychologie, Neuropathologie I und II).
  2. Deutsche Luft- und Raumfahrt/Forschungszentrum Köln (Vorträge zu Schwerelosigkeit, Sonnenenergie, Erstarrung und Kristallisation, Kometen, Exobiologie; nachmittags Experimente in Kleingruppen und Besuch des Europäischen Astronautenzentrums EAC).
  3. Chemie: Besuch der Bayer-AG in Leverkusen (Vorträge und Werksbesichtigung); Besuch der Institute für Chemie der Universität Bonn (Anorganische und Biochemie, mit Vorträgen und Praktikumsversuchen).
  4. CAESAR: Center of Advanced European Studies and Research. (Medizin/IT/Biologie/Chemie: chirurgische Simulationen, Biosensor, Proteinfaltung; Physik/Ingenieurwissenschaften: dünne adaptive Schichten, Entwicklung eines Reifensensors; Angewandte Mathematik/Softwareentwicklung: Entwicklung eines Softwareprogramms, Simulationsprogramm für die Herstellung von Silizium).

 

Die seit den 60er Jahren gepflegten, ursprünglich rein katholischen „Besinnungstage“ am Ende der Stufe 13, die auf die von den Jesuiten praktizierten „Exerzitien“ und auf die in der Weimarer Zeit und in den 50er Jahren abgewandelte Form der „Religiösen Jugendwoche“ zurückgingen, öffneten sich ökumenisch seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre und wurden seit 1988 im Haus Steinbachtalsperre abgehalten. Von 1989 an fungierten dort die Leiter der Kurse für evangelische und katholische Religion als pädagogische Aufsichtsbegleiter ihrer Gruppen. Ein katholischer Geistlicher, später mit einem evangelischen Geistlichen im Team, übernahm an einem Wochenende für drei Tage die Leitung der Besinnungstage. Die Schülerinnen und Schüler waren in die Vorbereitung eingebunden und gaben häufig das Motto vor, unter dem sich der Gedankenaustausch mit Meditationen, Gebeten und Liedern gestalten sollte. Inhaltlich stand dabei die Idee im Vordergrund, sich über die eigenen Hoffnungen, Ziele und Sorgen Gedanken zu machen und sich darüber mit den anderen Teilnehmern auszutauschen. Dabei kam die Geselligkeit besonders am Abend keineswegs zu kurz. Häufig ging auch aus dieser Veranstaltung Motto und Gestaltung des ökumenischen Abschiedsgottesdienstes der Abiturienten hervor.

 

Zu Beginn des Jahrtausends drängte das Ministerium nach einem eindeutigen Schulprofil in Form von „Profilkursen, nämlich der Kombination von zwei Fächern/Kursen mit identischen Lerngruppen. In der Fortsetzung der Richtlinien Sek I sollte auch die Struktur der Oberstufe so verändert werden, dass fächerverbindendes/fachübergreifendes Lernen durch die inhaltliche und methodische Verknüpfung gefördert und in stabilen Lerngruppen kooperatives Arbeiten ermöglicht würden. Als Nebeneffekt erhoffte sich das Ministerium durch eine Koppelung die Stützung bzw. Erhaltung „kleiner“ oder „Orchideen“fächer.

Dem Oberstufenkoordinator und Schulleiter erschlossen sich sogleich die Nachteile, denn eine schulische Profilsetzung schränkte die Wahlmöglichkeiten noch mehr ein, zumal anfangs sogar auch an Koppelungen Leistungskurs/Grundkurs oder Grundkurs/außerunterrichtliche Veranstaltung gedacht war. Schließlich würde die technische Umsetzung der Koppelung den Stundenplan der Oberstufe außerordentlich aufblähen und manche gewünschte Kurskombination unmöglich oder unerträglich machen. Da mit einer Profilbildung auch keine zusätzliche Lehrerzuweisung verbunden war, hingen die Koppelungsmöglichkeiten der Kurse von der zufälligen Lehrerausstattung der jeweiligen Schule ab und passten oft nicht in das bisherige Profil.

Selbst den Pläneschmieden des Ministeriums schienen die Folgen ihrer Vorgaben bewusst zu werden, da sie bald die Leistungskurse von der Profilbildung ausschlossen und diese auf die Pflichtkurse beschränkten, um weitere Zwänge abzubauen und die Wahlmöglichkeiten nicht noch mehr einzuschränken. Eine Umsetzung sollte 2003/2004 oder 2004/2005 erfolgen, so dass der Schulleiter zunächst erst einmal auf weitere Abänderungen hoffte.

Wenn es sich nicht vermeiden ließ, wollten er und der Oberstufenkoordinator nur eine Koppelung mit den Grundkursen Deutsch und Mathematik, die ohnehin parallel im Stundenplan lagen, zulassen. Umfragen in den Jahrgängen ergaben einen möglichen Wunsch nach einer Kombination Deutsch mit Geschichte oder Kunst/Literatur und Mathematik mit Wirtschaftswissenschaft oder Biologie. Die inhaltliche und methodische Zuordnung der Fächer hätte das Kollegium allein vornehmen müssen, denn noch fehlten jegliche Hilfen, Vorgaben und Fortbildungen.

11.17.3 Begabtenförderung: Einführung des „Drehtürmodells