5.4 Der „stattliche“ Neubau an der Coblenzer Straße mit „herrlicher Aussicht auf den Rheinstrom und das nahe Siebengebirge“

Da die „gesundheitswidrige Beschaffenheit des Gebäudes“ jede weitere Investition zwecklos machte, musste ein Neubau in Erwägung gezogen werden. Nach jahrelangen Diskussionen über den zukünftigen Standort fiel die Entscheidung schließlich für das große Grundstück des Nasseschen Hauses, das nach der „Vinea Domini“ und dem Arndthaus das älteste Gebäude an der Coblenzer Straße (Adenauerallee) war. Das lang gestreckte rechteckige Grundstück stieß mit der 60 m langen Schmalseite einerseits an die Coblenzer Straße, andererseits „an das Rheinwerft, eine längs des Rheines sich hinziehende Promenadenstraße“. Privatgrundstücke begrenzten jeweils die Längsseiten (122 m). Das Grundstück gewährte „bei seiner hohen und freien Lage [16 m über dem Nullpunkt des Rheinpegels] eine herrliche Aussicht auf den Rheinstrom und das nahe Siebengebirge, welche zu erhalten wesentlich die allgemeine Anordnung der auf dem Platze errichteten Baulichkeiten“ bestimmen sollten.  

 

1888 begann der (im Oktober 1891 vollendete) Neubau, bestehend aus dem Klassengebäude, einer Turnhalle und den Abortanlagen. Das dreigeschossige, H-förmige Klassengebäude (mit 18 Klassen und einer Doppelklasse) bestand aus zwei parallel zum Rhein liegenden, rechteckigen Flügeln, die durch einen Mitteltrakt miteinander verbunden waren. Äußerlich glich der „in den Formen der italienischen Renaissance gehaltene pompös wirkende Bau mit seinen lederfarbenen Verblendziegeln, den Basaltlava- und hellen Sandsteinteilen“ vielen der zu dieser Zeit errichteten Bonner Schulgebäuden. Die über 50 m lange Schaufront schloss sich an die vorhandene Wohnbebauung der Coblenzer Straße an; die Hinterfront öffnete sich für die schöne Aussicht auf den Rhein und das Siebengebirge. Die meisten Klassenräume lagen in dem hinteren Langbau, „und zwar nach Osten …, so daß sie in ihrer Beleuchtung durch die Bebauung der nachbarlichen Privatgrundstücke nicht geschädigt“ wurden. Drei „gut beleuchtete Steintreppen, eine Doppeltreppe im Mittelbau und eine Seitentreppe im vorderen Langbau“ verbanden die Schulräume.

Im Erdgeschoss befanden sich das Lehrerzimmer, die Unterstufe, die Wohnung des Schuldieners (der von seinem Dienstzimmer aus den Eingang gut übersehen konnte), ihr gegenüber die Doppelklasse und im hinteren Flügel die Unter- und Obertertia (Klassen 8 und 9).

In der Mitte des 1. Obergeschosses zur Straße hin war die große Lehrerbibliothek mit der anschließenden sehr kleinen Schülerbibliothek und dem Konferenzzimmer untergebracht, im Mittelbau der Lehrsaal für den naturwissenschaftlichen Unterricht mit einem Raum für Sammlungen und im Rheinflügel hatten Unter- und Obersekunda (Klassen 10 und 11) ihre Klassen. Der Schulleiter wohnte im südlichen Teil des Gebäudes im ersten und zweiten Stock mit einem eigenen seitlichen Eingang und einer „besonderen Holztreppe“.

Im 2. Obergeschoss saßen die Unter- und Oberprima (Stufe 12 und 13); daneben gab es noch einen Zeichensaal. Zur Straße hin nahm die große Aula (22 x 15 m) mit ihrer Stirnseite die ganze Breite des Mittelrisalits ein. Die bemalten Wände, eine ca. zwei Meter hohe Holzvertäfelung und eine Holzdecke mit Balkenkonstruktion verliehen ihr ein festliches Aussehen.

Die Klassenräume waren mit zweisitzigen Holzbänken, einem Katheder mit verstellbarer Schreibplatte und zwei seitlichen Schränkchen (eines für den Klassenlehrer, das andere für die übrigen Lehrer), einer drehbaren Schiefertafel und Fenstern mit Zugvorhängen ausgestattet. „Zum Aufhängen der Karten sind die Kartenschoner ‚Patent König’ beschafft worden“. Garderobenhaken und Regenschirmkästen auf den Korridoren unterstrichen die „moderne“ Einrichtung. Im Zeichensaal standen „besondere Zeichentische mit Klappbrettern an der Rückseite zum Aufstellen der Vorlagen und Modelle, dazu Schemel und Schränke“.

Aus großzügigen Spenden und mit den Kunstgegenständen aus dem alten Haus hatte man das Schulinnere ausgeschmückt u. a. mit einer Büste Kaiser Wilhelms II., mit Nachbildungen des Jupiter von Otricoli, der Juno Ludovisi, des Apollo von Belvedere, des Hermes von Praxiteles, der Zeus- und der Athenagruppe vom Altarbau zu Pergamon, der Laokoongruppe sowie mit Kupferstichen nach bekannten Gemälden des Großen Kurfürsten, der Generäle von Ziethen und Seydlitz.

 

Am Ende des mittleren Hauptkorridors lag der Hofausgang. Über dem Portal war das Motto des Gymnasiums zu lesen: „Fortiter ac Sincere“, dessen Übersetzung – je nach zeitgebundener Interpretation – dem Betrachter großen Spielraum ließ. „Durch eine den Bodenabfall von 1 m vermittelnde Rampe mit in der Mitte eingelegten Stufen“ stiegen die Schüler zu dem „freien Turn- und Spielplatz hinab“. Dieser war „fest geebnet“ und mit wenigen Bäumen bepflanzt, um den „Spielraum nicht zu sehr zu beengen“ und die „Aussicht auf die Rheinlandschaft nicht zu behindern“. An der Rampe waren mehrere Turngeräte aufgebaut. Die Bepflanzung des Vorgartens, dessen Böschung ca. 9 m zur Rheinpromenade abfiel, diente „zugleich als Lehrmittel“. 1901 wurde an drei Seiten des Hofes „ein Spazierweg von 3 bis 5 m Breite mit Cementplattenbelag hergestellt“. Die nördliche Einfahrt „samt dem kleinen Hofe“ erhielt gleichzeitig eine neue Pflasterung.

Eine eigene große Turnhalle (25 m lang, 12,50 m breit und 5,50 m hoch) auf der Nordseite des Turn- und Spielplatzes war architektonisch auf die Hinterfront des Schulgebäudes abgestimmt. Die Abortgebäude sind „im Äußeren der Turnhalle entsprechend ausgeführt“. Sämtliche Aborte erhielten Wasserspülung.

 

Zur Einweihungsfeier am 15. Oktober 1891 zogen nach den jeweiligen Gottesdiensten Schüler und Lehrer in einem feierlichen Umzug von dem alten Gymnasium durch die festlich geschmückten Straßen über den Markt und durch das Koblenzertor in den reichlich beflaggten Neubau. Die Aulaveranstaltung eröffnete der Vortrag des 399 Verse langen Festgedichtes (von Oberlehrer Dr. G. Schwertzell) durch zwei Oberprimaner (heute Stufe 13) zur Weihe des Hauses, dreimal unterbrochen durch Chorlieder und beendet mit einem Weihelied. Der Geheime Regierungs- und Schulrat Dr. Deiters, ehemaliger Lehrer und Schulleiter der Schule, versuchte die Schüler für die „ruhmreiche Vergangenheit des Vaterlandes“ zu begeistern und zur „Treue gegen den Herrscher und sein Haus und gegen den Staat“ anzuhalten. Schließlich betonte der Direktor, Geheimrat Dr. Joseph Philipp Buschmann, dass, bei aller Wertschätzung der vaterländischen Geschichte, Kunst und Literatur, „die in griechischer und römischer Sprache niedergelegten Schriftwerke eine einzig dastehende Ringschule [gymnasion] bilden für den jugendlichen Geist und mit ihrem wunderbaren, ewig frischen Inhalt weit mehr geeignet sind, als die fremdsprachigen Schriftsteller der neueren Zeit“. Den folgenden schulfreien Tag nutzten die Klassen zu Ausflügen; am Samstag, dem 17. Oktober 1891, begann der reguläre Unterricht in der „stattlichen“ neuen Schule. Das ehemalige Schulgebäude in der Bonngasse wurde 1895 bei einer Versteigerung an Bonner Geschäftsleute veräußert und schließlich abgerissen.

 

Die Aulafenster des Königlichen Gymnasiums zierten bald drei, zur Straße gelegene rundbogige Fenster mit jeweils einem medaillonförmigen kreisrunden Einsatz. Hierfür hatte der Rentier Friedrich König 1891 drei Farbglasbilder der Deutschen Kaiser und Preußischen Könige Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. gespendet. 1894 wurden sie schließlich eingebaut: Friedrich III. links und Wilhelm II. rechts, Wilhelm I. (im Halbprofil) in der Mitte (Sohn und Enkel ihm jeweils zugewandt), – in Brustbildern dargestellt, uniformiert, doch ohne Kopfbedeckung. Anlässlich des Festaktes zum Geburtstag Kaiser Wilhelm II. (27. Januar 1894) „prangte die Aula, zum ersten Male bei einer Schulfeier, im Schmucke der … farbigen Glasfenster. Umringt von reichem und freundlichem Zierwerk“ leuchteten „in ihrer Mitte die Bilder der drei ersten Kaiser des neuen Reiches. Mögen diese Bilder“, so wünschte es der Schulleiter in der Chronik, „mit der Erinnerung an das Dreikaiserjahr, in welchem der Grund zu dem neuen Schulgebäude gelegt wurde, den vaterländischen Sinn und die Liebe zu dem angestammten Herrscherhaus in den Herzen unserer Schüler lebendig erhalten!“

Wenn auch die (Partei-) „Politik“, in den Erinnerungen Ehemaliger, nicht in die „Schule hineingetragen wurde“, so konnte sich doch der Geschichtsunterricht nicht der Begeisterung für „Deutschlands Aufstieg aus Erniedrigung, Uneinigkeit und Hader zum Glanz der Kaiserkrone“ und für die neue „Weltgeltung“ des Kaiserreichs enthalten. Die überall streng einzuhaltende Hierarchie war auch im Lehrerzimmer zu beobachten: Wenn Direktor Dr. Genniges (1906 – 1930) zu Beginn einer Konferenz das Lehrerzimmer betrat, standen alle Kollegen sofort auf. Erst nachdem er an der Schmalseite des Tisches Platz genommen hatte, gab er den Anwesenden das Zeichen sich zu setzen, – wie „ein Lehrer in der Klasse“, so erlebte ihn ein ehemaliger Abiturient und Referendar der Schule.

 

5.5 Neue Abiturordnung (1892/1901): „Weg mit dem lateinischen Aufsatz