Im Unterricht mussten sich die Lehrer kritischer Bemerkungen über die politischen Veränderungen enthalten, um nicht von einigen ihrer Schüler angezeigt zu werden. Fanatische HJ-Schüler beschimpften 1933 in der „Fanfare“, dem „amtlichen Organ der Hitlerjugend“, Lehrer, die als Anhänger der Weimarer Demokratie galten, als „systemtreue“ Oberlehrer. Nachdem die Ausgabe der „Fanfare“ von einer „jugendfeindlichen Lehrerschaft“ (so die HJ) beschlagnahmt worden war, riefen diese HJ-Schüler zum „Kampfe gegen Bürgertum und Muckertum“ auf. Die „Revolution der ‚Jugend“ sei noch nicht beendet. „Drum“, so endete der Aufruf, „wer nicht beiseite stehen [will], dulde nicht dieses Wesen in der Lehrerschaft und: Werdet Aktivkämpfer!!“
Die „Mißhelligkeiten zwischen Schule und HJ“ entzündeten sich vor allem an dem Recht der Schüler, Anschläge an das Schwarze Brett der Schule zu heften, bis auch hier die Behörde verbot, „Plakate betr. Auseinandersetzungen, die nicht in die Schule gehören“, aufzuhängen. Vor allem gelang es dem Vertrauenslehrer der Hitlerjugend, Dr. Flad, durch sein unerschrockenes und dezidiertes Verhalten die Position der Schule zu stärken und Eskalationen zu vermeiden. Das Kollegium dankte ihm ausdrücklich für sein „mühevolles Arbeiten, insbesondere für korrektes Verhalten im Dienste von Zucht und Ordnung und der Erhaltung der Staatsautorität“.
Die Mitglieder des „Deutschen Jungvolks“ (10 bis 14 Jahre) mussten sich nach Ablegung ihrer „Pimpfenprobe“ im ersten Jahr (u. a. 60m-Lauf, Weitsprung, Ballweitwerfen; Tornisterpacken, Teilnahme an einer eineinhalbtägigen Fahrt, Kenntnis des Horst-Wessel-Liedes, usw.) auf das Leistungsabzeichen des „Deutschen Jungvolks“ vorbereiten. Bedingungen waren:
„I. Schulung (Leben des Führers, Deutschtum im Ausland, Abgetretene Gebiete, Feiertage des Deutschen Volkes, 5 Fahnensprüche, 6 HJ-Lieder);
- Leibesübungen (60m-Lauf, Weitsprung, Schlagballweitwerfen, Klimmziehen, Bodenrollen, 100m-Schwimmen, 1000m-Lauf);
III. Fahrt und Lager (Tagesfahrt 20 km mit leichtem Gepäck, dreitägiges Zeltlager, Zeltbau, Wasser kochen, Kenntnis der wichtigsten Baumarten, Einrichten der Karte nach den Gestirnen, Kenntnis der wichtigsten Kartenzeichen des Meßtischblattes 1:25000, Anschleichen und Melden;
- Zielübung (Luftgewehrschießen)“.
Die Hitlerjugend war mit der Aufgabe betraut worden, die Jugend neben Elternhaus und Schule „körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen“.
Schwierigkeiten bereitete den Lehrern in Unterricht und Schulleben der alltägliche Umgang mit der Hitlerjugend als einer „konkurrierenden Erziehungsinstanz“ (Bölling). Die Mitglieder der HJ hatten sowohl am Mittwoch- als auch am Samstagnachmittag aufgabenfrei (das „Jungvolk“ nur samstags). Darüber hinaus versuchten sie sich für die Teilnahme an Aktionen (Aufmärsche, offizielle Flaggenhissungen, Ehrenformationen, Sammlungen Winterhilfswerk, usw.), Veranstaltungen (regionale Parteitage, Reichsparteitag in Nürnberg) und Kursen (Führerkurse der Reichsjugendführung, Kurse für Unterbannschulungsleiter, Führerlehrgänge in der Gebietsführerschule in Mehlem, Sport- und Geländesportlehrgänge, usw.) öfter beurlauben zu lassen, bis schließlich die Behörde der Schule mit entsprechenden Erlassen den Rücken stärkte (Beurlaubung nur nach „Befragen“ der Schule und nach Maßgabe der Leistungen). Die Lehrer waren aufgefordert, für die HJ zu werben, was sie mit sehr unterschiedlicher Intensität machten. Werbeplakate mussten gut sichtbar in der Klasse aufgehängt werden; an den Werbestunden hatten auch die Lehrer teilzunehmen. Die Schulen konkurrierten untereinander um die höchste Anzahl von HJ-Mitgliedern und das Recht, die HJ-Fahne feierlich hissen zu dürfen, worüber dann die Presse ausführlich berichtete. Den Behörden musste regelmäßig eine Mitglieder-Statistik geliefert werden.
Die häufigen Beurlaubungen und die besondere Beanspruchung der Schüler durch die HJ, vornehmlich nachmittags und am Wochenende, stellten sich für die Lehrer sogleich als Problem der Leistungsbeurteilung dar. Wenn auch für die Partei die HJ wichtiger war als die Schule, konnte sich im Allgemeinen die Tendenz durchsetzen, für die Zensurengebung die tatsächliche Leistung zu Grunde zu legen. Aber schon 1934 wurde bei der Versetzungskonferenz berücksichtigt, wenn ein Schüler durch seine Tätigkeit in der HJ „in seinem Studium stark gehemmt war“. Ein Obersekundaner (Stufe 11) erhielt die Versetzung nur „wegen seiner aufopfernden Betätigung in der SA und in der sicheren Erwartung, daß er im nächsten Jahre sich mit größerem Eifer seinem Studium widmen“ werde.
Seit 1935 enthielten die Zeugnisse eine „allgemeine Beurteilung des körperlichen, charakterlichen und geistigen Strebens und Gesamterfolges“, so dass sich die Klassenlehrer schon zeitig über eine Formulierung mit den Fachlehrern zu einigen suchten. Für das Abitur 1935 mussten die Klassenlehrer ein Verzeichnis aufstellen, das die „in der SA, SS usw. tätigen Schüler“ enthielt. Bei ihrer Charakteristik der Primaner sollten sie neben der geistigen Eignung und körperlichen Beschaffenheit ihre „Einstellung zum Staat und Zugehörigkeit zu nationalen Verbänden“ beschreiben. Ab Schuljahr 1935/36 hatten die Klassenlehrer in das Schülerverzeichnis der Klassenbücher einzutragen, welchen Jugend-, vaterländischen und sportlichen Vereinen bzw. Verbänden die Schüler angehörten. Um eine übermäßige Doppelbelastung zu vermeiden, wurden 1936 die Abiturienten ein halbes Jahr vor der Reifeprüfung vom HJ-Dienst befreit. Die Schulleiter mussten im Juni 1936 über die Auswirkungen der Beurlaubungen zu Führer-Schulungslehrgängen berichten, ob es etwa „Störungen des Unterrichtsbetriebes“ oder nachteilige Folgen für die Leistungen der entsprechenden Schüler gebe.
Am 8. Februar 1941 kam es sogar zu einem Abkommen über „Schule und Hitlerjugend“, dass die Nachmittage grundsätzlich nicht der Schule, sondern der HJ und dem Elternhaus zur Verfügung ständen. Wenn die Schule an Nachmittagen aus besonderen Gründen (z. B. Vorbereitung für Schulfeiern) Schüler benötigte, musste sie „ordnungsgemäß Urlaub vom HJ-Dienst beantragen“. Pflichtsport, Wehrertüchtigung, Wettkampfsport und alle Sportveranstaltungen, die am Nachmittag lagen, gehörten ausschließlich in den Arbeitsbereich der HJ.
Bös wies gleich nach seinem Amtsantritt auf die Verpflichtung der Lehrer hin, für den Eintritt in die Staatsjugend zu werben. Von den „geistlichen Herren“ werde erwartet, jede Werbetätigkeit für konfessionelle Verbände zu unterlassen. Wiederholt forderte er seine Kollegen auf, dem NSLB beizutreten, und erinnerte sie an die Verpflichtung, im Rahmen ihres Unterrichts „die Auswahl und vor allem die Ausrichtung des Lehrstoffes im Geiste der NS-Erziehung in die Hand“ zu nehmen. Schon Mitte 1934 war fast die Hälfte der Schüler in die HJ, das Jungvolk oder die SA eingetreten, nicht immer aus Überzeugung. Die Befreiung von der Schulgeldzahlung z. B. hing von der Mitgliedschaft in der HJ ab; ältere Schüler fürchteten um ihre Hochschulreife. Laut Statistik Anfang 1936 gehörten 77,7 % den vaterländischen, 9,2 % den katholischen kirchlichen Verbänden an. Ein Jahr später verpflichtete der Schulleiter noch einmal nachdrücklich die Klassenlehrer, die restlichen Schüler zum Eintritt in die nationalen Verbände zu bewegen, deren Zugehörigkeit „auf einem besonderen Bogen“ festzustellen war. Bös wollte auch möglichst keine Schüler aus Klosterschulen neu aufnehmen, weil diese „zu leicht die Klassengemeinschaft sprengen“ würden und außerdem fast alle keiner NS-Organisation angehörten. Seit 1937 verordnete Bös der HJ, bei hochoffiziellen Feierstunden in der Aula („Machtübernahme“ am 30. Januar; „Heldengedenktag“ Mitte März; „Führergeburtstag“ 20. April – an diesem Tag die Lehrer „in dunklem Anzug“) Uniform zu tragen. Ab 1939 teilte er nur noch „den Schülern“ mit, wann sie in Uniform zu erscheinen hatten, – ein Indiz dafür, dass wohl die meisten der „Staatsjugend“ beigetreten waren.
Zu dieser Zeit waren allerdings einige ehemalige übergetretene NDer und Bündische wieder auf Distanz zur Hitlerjugend gegangen, da sie den Vorrang des Politischen, die übermäßige militärische Disziplin und Unterordnung sowie die totale staatliche Kontrolle ablehnten. Sie trafen sich mit denen, die von der HJ ausgeschlossen und die noch im katholischen Jugendverband geblieben waren, zu Heimabenden und Fahrten und führten ein von der Staatsjugend unabhängiges, „privates“, d.h. illegales Gruppenleben, als „bündische Umtriebe“ gebrandmarkt und von der Polizei verfolgt. Eine dieser Gruppen um den Studenten Günter Platz, die Abiturienten (1939) des Beethoven-Gymnasiums Edgar Lohner und Helmut Giesen (mit Michael Jovy vom Aloisius-Kolleg), trieb bewusste illegale politische Opposition und wurde 1939 verhaftet und zu Zuchthausstrafen verurteilt. Seit 1941 muss die Begeisterung für den vielfältigen und ständigen HJ-Dienst unter den Schülern des Beethoven-Gymnasiums nachgelassen haben. Am 5. Januar 1942 erging eine Anweisung an den Schulleiter, von allen Klassen Listen mit der Zugehörigkeit der jeweiligen HJ-Formation (Allgemeine HJ, Flieger HJ, Motor HJ, Marine HJ, Nachrichten HJ) an den Bannführer der Bonner HJ zu schicken; Stichproben hätten nämlich ergeben, dass sich „Schüler vor dem HJ-Dienst drücken“ würden.
8.4 Schulveranstaltungen zur Festigung des „neuen Geistes“