8.7 Schulalltag unter den Bedingungen des Krieges

Für den seit 1937 eingerichteten Luftschutzdienst mussten sich die Lehrer als Melder, Ordner und Feuerwehrleute, von einigen Schülern assistiert, zur Verfügung stellen; die Töchter des Hausmeisters sollten sich als Sanitäterinnen ausbilden. Luftschutz wurde geübt und häufig auf den Konferenzen besprochen. Wiederholt mussten nach Kriegsbeginn die Bedienung der Luftpumpen und das Aussteigen durch die Notausgänge geprobt werden. Eine Reihe von Schülern war 1940 als Melder im Luftschutzdienst tätig: Die 8. Klassen (Stufe 12) stellten 5, die 7. Klassen (Stufe 11) 10; die 6. Klassen (Klasse 10) 10, die 5. Klassen (Klasse 9) 3 und die 4a (Klasse 8) stellte 1 Melder. Die abwechselnd für den Vormittag Eingeteilten waren bei Alarm sofort aus dem Unterricht zu entlassen. Auf die Schüler, die nachmittags bzw. in der Nacht Dienst hatten, sollte „gebührende Rücksicht“ genommen werden. Allerdings durften „Ersatzleute“ gestellt werden, wenn einem Schüler das Schulversäumnis für die Versetzung „gefährlich“ werden könnte. Recht optimistisch glaubte zu dieser Zeit der Schulleiter noch, dass die „Einberufung“ der Melder nicht lange dauere. Die Luftschutzräume des Beethoven-Gymnasiums, deren notwendige Geräte vollständig vorhanden und in Ordnung waren, wurden anfangs als vorbildlich eingestuft, so dass die Schule seit 1941 zum „erweiterten Selbstschutz“ gehörte.

 

Schon im Februar 1939 musste die vorher beschlagnahmte Turnhalle (deren eiserne Klettergerüste und Hanteln – zusammen mit dem Eisengitter des Vorgartens – gerade verschrottet waren) geräumt werden. Das Turnen fand in der Aula oder, soweit es das Wetter zuließ, an den Geräten auf dem Schulhof statt. Da die Stadtverwaltung das Gebäude des Beethoven-Gymnasiums – als einziges unter denen der Bonner höheren Schulen – „als für militärische Unterkünfte geeignet“ benannt hatte, war es bei Kriegsbeginn mit einer Einquartierung bedacht: Die Turnhalle diente als Getreidespeicher; Aula, Seminar und Keller beherbergten die Feldpost; ein Divisions-Nachschub-Stab saß im Zeichensaal, die Flak, die ein Geschütz auf dem Dach des Gebäudes in Stellung gebracht hatte, im Klassenraum der 8c; die Feldküche schlug ihr Quartier auf dem Schulhof auf. Nach Abzug des Stabes und der Feldküche konnte die Flak in den Zeichensaal umziehen. Das Lehrerseminar, dessen Bücherei z. T. in das Oberstudienratszimmer verlegt wurde, hielt im Biologiesaal seine Sitzungen ab.

Wegen der Einquartierung musste die „Hausordnung mannigfach gelockert“ werden. Die Lehrer sollten die Aufsicht besonders genau führen und vor allem verhindern, dass die Schüler in dem auf dem unteren Flur lagernden Stroh spielten. Der Schulleiter sah in den sich häufenden Eintragungen in die Klassenbücher ein „bedenkliches Nachlassen der Schulzucht“ und ersuchte die Kollegen, „die Zügel besonders straff anzuziehen“. Er wollte den „Geist der Ordnung in kameradschaftlicher Weise“ wahren und beauftragte, wie schon einmal 1936, Schüler der Abschlussklassen „mit der Unterstützung der aufsichtführenden Lehrer“ auf dem „Hof und im Hause“; ihren Weisungen sei Folge zu leisten, „Widersetzlichkeiten“ werde er als „Widerstand gegen die Anordnungen des Direktors bestrafen“.

 

Schon im Januar 1940 gab der Schulleiter den Kollegen zu verstehen, den „mannigfachen Störungen durch die Kriegsverhältnisse“ Rechnung zu tragen. Die Lehrer sollten ihre Anforderungen „auf die Zeit“ einstellen; in manchen Fächern werde das Unterrichtsziel „kaum“ erreicht werden können. Wegen der Einberufung der Fachlehrer sei eine Beurteilung der Leistung in Musik, Kunst und Biologie schwierig. Die Versetzungskonferenz müsse jedenfalls auf die „besonderen zeitgegebenen Verhältnisse (Einquartierung, Einberufung des Vaters zum Heeresdienst, Abgang der Schüler ins Berufsleben, usw.) Rücksicht“ nehmen.

Darüber hinaus wies Bös die Lehrer an, im Unterricht, vor allem in Deutsch, Geschichte und Erdkunde, die „brennenden Tagesfragen“ mit den Schülern zu besprechen. Nach der Besetzung Dänemarks und Norwegens und dem Beginn des Westfeldzuges wurde dem Kollegium zur Pflicht gemacht, bei der „Fülle der unglaublichen Zeitereignisse die Schüler bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die großen Jahresereignisse hinzuweisen, um die Gefühle der Begeisterung zu stärken und zu wecken und Stolz und Dank gegenüber dem Führer“ und dem „siegreichen Heer“ bei der Jugend zu erzeugen.

 

Die Verschiebung des ursprünglich auf den 25. August 1940 festgelegten Endes der Sommerferien durfte durch die Zeitungen nicht veröffentlicht werden. Der Schulleiter musste alle Kollegen und Schüler über den geänderten Beginn des Unterrichts am 16. September mit der Post benachrichtigen, was zu einigen Pannen führte. Die Herbstferien fielen aus; Zeugnisse gab es am 30. November 1940. Bei nächtlichem Fliegeralarm hatten im Sommer 1940 die Anordnungen des Schulleiters für den Unterrichtsbeginn noch geschwankt (um 9 Uhr bei 35minütigen Stunden, gelegentlich erst um 10 Uhr), im Oktober dann um 10 Uhr, wenn es zwischen 20 und 6 Uhr Alarm gegeben hatte; die anschließenden vier Kurzstunden dauerten 40 Minuten. Ab 4. November 1940 begann die Schule schließlich, ob nachts Alarm oder nicht gewesen war, im Winter um 9.30 Uhr (von Frühjahr bis Herbst um 9 Uhr) bei fünf 40minütigen Unterrichtsstunden und einer Hofpause. Ab 1941 wurde der Versetzungstermin von Ostern auf den Sommer verlegt. Einen Monat nach den Weihnachtsferien schlossen vom 12. Februar bis zum 21. Februar 1942 die Bonner Schulen, „um Kohlen zu sparen“; nur die vier Abiturienten des Beethoven-Gymnasiums hatten „planmäßig“ Unterricht. Warum sich Bös allerdings durch deren „Verhalten“ veranlasst sah, die Abschiedsfeier noch am vorgesehenen Tage (31. März 1942) abzusagen, entzieht sich unserer Kenntnis.

 

Wiederum musste der Lehrplan in einigen Fächern zusammengestrichen werden. Unterrichtsstoff und Anforderungen bei den schriftlichen Arbeiten waren den „Zeitumständen“ und der „augenblicklichen Verkürzung der Unterrichtszeit“ anzupassen. Das Gleiche galt bei der Beurteilung zu den Zeugnissen am 30. November 1940, wobei vor allem der „Hilfsdienst, dem manche Schüler in wirklicher Aufopferung monatelang Freizeit, Ferien, ja Nachtruhe geopfert“ hatten, berücksichtigt werden sollte. Ein „Zurückweisen“ der Schüler der Eingangsklassen zur Volksschule kam unter diesen Umständen nicht in Frage. In den Versetzungskonferenzen wurde bei manchen Schülern beraten, ob sie trotz Minderleistungen doch noch versetzt werden könnten, wenn der Vater „im Felde“ stand oder bei dem Schüler z.B. eine „verdienstvolle Arbeit als Fähnleinführer“ vorlag. Nur „völliges Versagen in drei wichtigen Fächern“ schloss eine solche Berücksichtigung aus. Andererseits warnte Bös seine Kollegen, Gefälligkeitsnoten zu geben: Ihm seien in letzter Zeit Fälle zu Ohren gekommen, dass „Schülereltern Lehrer durch Lebensmittelmarken, Lebens- und Genußmittel günstig zu stimmen suchten“. Das verstoße nicht nur gegen die „Standesehre“, sondern hätte auch ein „sehr scharfes“ Einschreiten der Dienstbehörde zur Folge. Selbst Namenstagsgeschenke seien nicht zulässig; Geldsammlungen dürfe nur der Schulleiter genehmigen. Eine entsprechende „Belehrung“ der Schüler erfolgte nach der Konferenz.

 

Die „schwierigen Zeitverhältnisse“, die die plan- und ordnungsgemäße Unterrichtsführung zunehmend erschwerten, sowie die sich häufenden „Hilfsdienste“ blieben nicht ohne Folgen für die Einsatzfähigkeit der Schüler und Lehrer. Diese diktierten dem Protokollführer auf der Konferenz vom 7. April 1941 in die Feder: „Ferner betrachtet das Kollegium aus der Mitverantwortung für den Gesundheitszustand der Jugend heraus es als seine Pflicht, der Behörde seine Beobachtungen über außergewöhnliche Ermüdungserscheinungen bei den Schülern mitzuteilen“. Neben den zum Wehrdienst einberufenen Lehrern fehlten zu dieser Zeit sechs Kollegen krankheitshalber. Da eine Aushilfe nicht gestellt werden konnte, war die Verkürzung des Unterrichts der „einzig mögliche und notwendige Ausweg“. „Im Hinblick auf die noch fortwährenden vielfachen Behinderungen und die durch den Lehreraustausch mit Luxemburg vielleicht noch hinzukommenden Umstände“ sah sich der Schulleiter nicht in der Lage, rechtzeitig die Unterrichtsverteilung für das Schuljahr 1941/42 vorzunehmen.

Allerdings verringerte sich die Schülerzahl, da in Zukunft nur noch je ein Zug der ersten Klasse für Gymnasium und Oberschule gebildet werden durfte. Als 1942 alle Lehrer im wehrfähigen Alter eingezogen waren, erhöhte sich das Durchschnittsalter der Unterrichtenden – auch durch die Wiederbeschäftigung von Pensionären – auf ca. 60 Jahre. Gegen Ende des Krieges war der Lehrermangel so groß, dass viele Fächer nur fachfremd von einigen wenigen Kollegen erteilt werden konnten.

 

Seit 1942 berührten zunehmend Kriegsereignisse und -erfordernisse Unterricht und Tagesablauf von Lehrern und Schülern. Schüler des Jahrgangs 1924 (ein Jahr später des Jahrgangs 1925) aus den Klassen 7, 6 und 5 (heute Klassen 11 bis 9) wurden zum Wehrdienst eingezogen, so dass sogar Klassen einer Jahrgangsstufe zusammengelegt werden mussten, obwohl auch fremde Schüler – mit sehr unterschiedlicher Vorbildung – aus fliegergeschädigten Familien zwischendurch das Beethoven-Gymnasium besuchten. Die vormilitärische Ausbildung sollte ursprünglich erst bei den Siebzehnjährigen beginnen, betraf aber seit Sommer und Herbst 1942 durch die klassenweise Erfassung der 7. und 6. Klassen (Klassen 11 und 10) auch jüngere Schüler. In den der HJ unterstehenden „Wehrertüchtigungslagern“, deren Ausbilder kriegsverletzte Soldaten, meist Unteroffiziere, waren, übten die Jugendlichen in den Sommerferien Bettenmachen, Spindeinräumen, ein Gewehr zerlegen und zusammenbauen, die Orientierung im Gelände nach Karte und Kompass, Kleinkaliberschießen, Dauerlauf über 3.000 m, einen 20 km Marsch, ein großes Kampfspiel mit Jungen eines anderen Lagers, verschiedene „Mutproben“ (u. a. Sprung vom Drei-Meter-Brett im Freibad) usw.

Seit Sommer 1943 dienten Schüler der 6. Klassen (Klassen 10) als Luftwaffenhelfer (am Verteilerkreis), ein halbes Jahr später auch ihre Mitschüler aus den 5. und 7. Klassen (9. und 11. Klassen) in Niederkassel. Die ganze Schule musste bei dieser Gelegenheit auf dem Hof zu einem Rechteck antreten; in einem der Blöcke standen die angehenden Luftwaffenhelfer in dunkler Winteruniform der HJ. Ein Offizier holte sie ab und führte sie anschließend in die Flak-Stellungen, wo sie von Lehrern des Beethoven-Gymnasiums weiterhin Unterricht erhielten oder mit Aufgaben versorgt wurden. An eine ständig neue Unterrichtsverteilung mussten sich Schüler wie Lehrer gewöhnen, zumal nach den Sommerferien 1943 nur noch an 5 Wochentagen unterrichtet wurde, und zwar an drei Vormittagen und zwei Nachmittagen.

Der Ferieneinsatz der Lehrer und Schüler vornehmlich der 5. und 6. Klassen (Klassen 9/10) seit Sommer 1942 bedeutete einen weiteren Einschnitt in den Ablauf des normalen Alltags. Bei den Bonner Verhältnissen bestand allerdings wenig Aussicht, dass Klassen geschlossen in einem Dorf einquartiert werden konnten. Es kam in der Regel zu einem örtlichen Einsatz unter Leitung der Lehrer, auch zu einer Arbeit in den Sammlungen und Büchereien. Die Lehrer der 5. und 6. Klassen mussten schon nach drei Wochen Sommerferien ihre Schüler wieder unterrichten, was allerdings ebenso als Ferieneinsatz galt wie die Arbeit in Bibliotheken und Sammlungen oder die Teilnahme an Lehrgängen des Nationalsozialistischen Lehrerbundes.

8.8 „Luftschutzmäßiges Verhalten“ von Lehrern und Schülern