8.8 „Luftschutzmäßiges Verhalten“ von Lehrern und Schülern

Die schwerwiegendsten Einschnitte für alle am Schulleben Beteiligten bedeuteten unzweifelhaft die seit 1942 immer schärfer und detaillierter werdenden Maßnahmen des Luftschutzes. Der Fernsprecher musste Tag und Nacht und in den Ferien besetzt bleiben; für den eventuellen Ausfall sollten immer mindestens zwei Melder zur Verfügung stehen. Die HJ hatte 20 Schüler als Melder für den Fall eines Großangriffs rekrutiert und auch die polizeilichen Melder waren bei Hauptalarm sofort aus dem Unterricht zu entlassen. Außer dem Hausmeister blieben nachts vier Wächter in der Schule, – zwei im Vorzimmer des Direktors, zwei Schüler im Kartenzimmer; die Klassenlehrer waren angehalten, vornehmlich ihre Schüler aus den 6. Klassen (heute Klassen 10) mit heranzuziehen. Ein Bett stand oben auf der Wunschliste der Betroffenen.

Im Oktober 1943 mahnte der Schulleiter die konsequente Einhaltung eines „luftschutzmäßigen Verhaltens“ der Lehrer und Schüler gleichermaßen an: Bei Alarm während der Unterrichtszeit sollten diese sich, nur mit ihrem Mantel und den Büchern versehen, vor der Klasse aufstellen, um dann von dem jeweiligen Lehrer – „in Ruhe“ – in die ihnen zugewiesenen Räume des Luftschutzkellers geführt zu werden. Dort müsse die Klasse geschlossen bleiben, und der Lehrer dürfe unter keinen Umständen die Klasse verlassen; denn ein Lehrerwechsel erfolge in den jeweils geteilten Pausen. Eine Entlassung von Schülern – „auch nicht zum Zuge“ – vor Schluss des Alarms oder der Luftwarnung war streng verboten; bei „Unwohlsein“ konnte ein Schüler im Gang in der Nähe der Treppe „frische Luft schöpfen“. Bei Alarm auf dem Schulweg sollten die Schüler nicht zurückkehren, sondern sich schnellstens zur Schule begeben oder im Notfall den nächst erreichbaren öffentlichen Luftschutzbunker aufsuchen.

Angesichts der seit 1943 erhöhten Gefahr eines Brandes nach einem Fliegerangriff wurde die Zahl der im Haus bereitstehenden Wasser- und Sandbehälter erheblich vermehrt und ein regelrechter Feuerwehrtrupp aus 10 Schülern der 5. Klassen (Klassen 9) unter Leitung eines Lehrers gebildet. Für den Fall, dass der Strom ausfiel, standen an bestimmten Stellen Laternen und Kerzen bereit. Zur besseren Bekämpfung möglicher Brandherde war die Schule im Mai 1944 von der örtlichen Luftschutzleitung angewiesen worden, „die Zahl der Sandtüten wesentlich zu erhöhen“. Da Fahrzeuge nicht zur Verfügung standen, waren Schüler, die nicht mehr als 15 Minuten Schulweg hatten, aufgefordert, mit von der Schule gestellten Tüten zur nächsten „Sandentnahmestelle“ zu gehen und sie innerhalb von drei Tagen gefüllt mitzubringen.

 

Der ständig wachsende Zeitverlust durch häufigen Alarm machte es 1944 erforderlich, den Aufenthalt im Luftschutzkeller zum Unterrichten zu nutzen, obwohl die Luftschutzrevision ergeben hatte, dass der Keller diesen Anforderungen keineswegs mehr genügte. Wenigstens wurden stärkere Glühbirnen eingezogen, um eine „einigermaßen ausreichende Beleuchtung zu gewährleisten“. Außerdem konnten die ungünstigen Raumverhältnisse eine gegenseitige Störung nicht verhindern, auch wenn auf die Einhaltung größter Ruhe geachtet werden sollte, damit „Lektüre, Belehrung durch den Lehrer u. dgl. möglich“ seien. Der jeweilige Lehrer hatte daher für sich zu entscheiden, welche Art des Unterrichts überhaupt in Frage kam oder ob die Schüler nur in Ruhe zu beschäftigen waren. Abgesehen davon, dass besonders die Klassenzimmer des Erdgeschosses bei Alarm wegen „schutzsuchender Passanten“ abgeschlossen werden mussten, sollten diese von den Fluren in die Keller verwiesen werden, was sich zu einem weiteren Störfaktor entwickeln konnte. Bei Großalarm wurde selbst die Nichtschülerreifeprüfung im Keller abgehalten, was nur einigermaßen gelang, wenn man in den Luftschutzräumen des Nordflügels für „wirksame Ruhe“ sorgte. Aber selbst unter diesen Umständen hörten die Schüler der Mittel- und Oberstufe im Frühjahr 1944 in der Aula noch „Kriegserlebnisse“ von Vertretern der Marine und im Mai den Vortrag von Hauptmann Wiesemann, Abiturjahrgang Beethoven-Gymnasium 1934, über die „Bewährung der deutschen Infanteristen an der Ostfront“.

 

Ferieneinsatz, Nachmittagsunterricht, nächtliche Wachen an Sonntagen und in den Ferien musste der Direktor seinen Kollegen mehrmals als verpflichtenden Dienst in Erinnerung rufen, da der „Appell an die Freiwilligkeit am Beethoven-Gymnasium … im Gegensatz zu anderen höheren Schulen“ versage. Wer seine volle Stundenzahl gebe, könne auch ein- bis zweimal im Monat im Schulgebäude schlafen; Ausnahmen und „grundsätzliche“ Ablehnung mit dem Hinweis auf Alter und häusliche Verhältnisse gebe es nicht. 1944 machten „Krankheitsfälle im Kollegium, militärische Nachuntersuchungen, Fliegerschäden in den Wohnungen und eine Häufung von Ergänzungs- und Externenprüfungen“ zahlreiche Vertretungen erforderlich. Dabei war die Einsatzfähigkeit der Lehrer schon durch den Luftwaffenhelfer-Unterricht stark eingeschränkt. Der Schulleiter bat daher die Kollegen, „freiwillig und vorausschauend“ die „günstige Gelegenheit einer Vertretung für ihr Fach auszunutzen“ und auf eine eventuelle spätere „Kompensation“ zu hoffen.

Dass die Weiterführung des Unterrichts im Luftschutzkeller vom Direktor immer wieder angemahnt werden musste, offenbarte nicht nur die Schwierigkeit dieser Maßnahme, sondern auch die offensichtliche „Unwilligkeit“ der Lehrer. Der Schulleiter schärfte vor allem den Klassenlehrern ein, „Rückgrat der Schulzucht“ zu bleiben. Die „Erfordernisse der Zeit“ müssten von jedem „größte Härte gegen sich selbst“ verlangen. Der Klassenlehrer solle seine Schüler „fest anpacken, aber auch ihr Betreuer und Berater“ sein. Die Schule verlor immer mehr ihre unterrichtliche Funktion.

 

Dem wohl bedenklichen „Nachlassen der äußeren Schulzucht“ versuchte der Schulleiter im Frühjahr 1944 energisch gegenzusteuern. Die „Unsitte der Schüler, in ganzen Rudeln durchs Haus zu laufen mit dem – angeblichen – Auftrag, eine Karte zu holen“, wollte er „mit allen Mitteln“ bekämpfen. Das Gleiche galt von dem „Herumlungern auf den Fluren vor dem Unterricht und von dem Lärm, mit dem manche Klassen bei Luftgefahr in die Kellerräume“ stürzten. Auch war ihm das „Heraustreten zur großen Pause und das Wiederhereinkommen“ zu „lahm“; es dauere einfach zu lange. Einen besonders „undisziplinierten Eindruck“ würde der Besucher in den unteren Fluren gewinnen, wenn die Klassen zum Unterricht in den naturwissenschaftlichen Übungsräumen oder im Musiksaal „mit viel Getöse“ antraten. „Das Antreten mit ‚Richtung-Fühlung-Vordermann’“ und „Mundhalten“ sei keine „Kommißmarotte, sondern ein erprobtes Erziehungsmittel auch in vormilitärischem Alter“. Besonders ungehalten zeigte sich der Schulleiter über die völlige Überlastung seines „Vorzimmers“, das die Schüler als „Fundbüro“ für „verbummelte“ Sachen betrachteten und wo sie in „endloser Reihe“ auf die Abstempelung der Bezugsscheine für Hefte, Fahrausweise warteten.

Darüber hinaus wollte er die „Nichtablieferung oder das Sammeln von feindlichem Propagandamaterial gegebenenfalls auch mit schärfsten Schulstrafen“ ahnden. Ganz empört habe er von Jugendlichen gehört, die an der Poppelsdorfer Allee „arbeitende Zuchthäusler und fremdvölkische Arbeiter angesprochen und holzgebastelte Spielzeuge gegen Brotmarken von ihnen eingetauscht“ hätten. Er erwartete, dass kein Schüler des Beethoven-Gymnasiums „sich eines derart unwürdigen und volksschädigenden Verhaltens schuldig“ mache, „das unweigerlich schärfste Bestrafung zur Folge haben würde“.

Im Sommer 1944 mehrten sich die Fälle, dass Schüler bei öffentlicher Luftwarnung vor 9 Uhr „noch kurz vor dem Schulgebäude“ abbogen, um angeblich nach Hause zurückzugehen. Einzelne Schüler, die sich schon im Hause aufhielten, sollen sogar „hintenherum ausgerissen“ sein. Auch nach der Entwarnung dauerte es dem Schulleiter „unverhältnismäßig lange, bis sich alles zum Unterricht eingefunden“ hatte. „Um allen diesen Mätzchen, die auf eine strafbare Täuschung der Lehrer und Sabotage des Unterrichts“ hinauslaufen würden, entgegenzutreten, ordnete er an, dass Eltern, die ihre Kinder bei öffentlicher Luftwarnung und Vollalarm zu Hause behalten hatten, dies mit einer formlosen schriftlichen Bestätigung dokumentierten. Ansonsten hätten die Schüler den Weg zur Schule „beschleunigt“ fortzusetzen. Nochmals schärfte Bös ihnen ein, bei Vollalarm oder einsetzendem Flakbeschuss sofort den nächsten öffentlichen Luftschutzraum aufzusuchen. Um ganz sicher zu sein, dass sie über deren Lage und Beschaffenheit auf der ganzen Länge des Schulweges auch Bescheid wussten, mussten sie dem Klassenlehrer entsprechende Lageskizzen abgeben. Bei der damaligen „verschärften Luftlage“ erfordere außerdem die Gefahr von Tieffliegerangriffen die besondere Aufmerksamkeit jedes einzelnen Schülers. „Auch außerhalb der Schulzeit, beim Spiel und im freien Gelände“ sollte dieser immer bereit sein, „kurz in Deckung zu gehen“. Das geschehe „ohne Ängstlichkeit in den Formen, die auch dem Soldaten als ‚Deckung gegen Beschuß’ und ‚Deckung gegen Sicht’ vertraut und zur Pflicht gemacht“ würden.

8.9 Reifeprüfung unter Kriegsbedingungen