9.1.2 „Bedrückende“ Raumnot und Schichtunterricht

Das alte Gebäude auch nur provisorisch für einen Unterricht zu benutzen, erwies sich 1945 als unmöglich. An den dreigeschossigen H-förmigen „Prachtbau“ an der Koblenzer Straße erinnerten die vorbeigehenden Schüler nur noch brandgeschwärzte Umfassungsmauern, Schutt, Trümmer und Wildwuchs. Der vordere Teil war völlig ausgebrannt, ohne Dach, mit „schweren, tiefgreifenden Schäden“ in Decken, Gewölben und Mauern, – nur der rheinseitige Flügel offenbarte einen etwas besseren Zustand, wenn man den mit Brennnesseln und Unkraut überwucherten Schulhof betrat und der völlig zerstörten Turnhalle den Rücken kehrte.

Doch das „Jahrtausende währende Fließen“ des benachbarten Rheins ließ trotz dieses Anblicks von Vergänglichkeit keine Resignation aufkommen. Nachdem Ende 1945 in Hersel angebotene Räume wegen der Verkehrsschwierigkeiten nicht genutzt werden konnten, forderte schon im Herbst 1946 das Lehrerkollegium die Einrichtung von Klassenräumen im hinteren Teil des alten Gebäudes; aber wegen der schlechten „bauwirtschaftlichen“ Lage vor der Währungsreform wurden solche Pläne immer wieder verworfen. Anfang 1948 fand sich das Kollegium mit der Absicht konfrontiert, die Schule in das Gebäude der Ermelkeilkaserne zu verlegen, doch bestanden „wegen Ungeeignetheit“ zu große Bedenken gegen diesen Plan. Also wartete das Kollegium weiterhin auf den Wiederaufbau der alten Schule.

 

Die Bonner höheren Schulen wurden am 21. Oktober 1945 mit einer Feierstunde für die Eltern im Kuppelsaal des „Museum König“ eröffnet. Der morgendliche katholische Festgottesdienst am nächsten Tage in der Pfarrkirche St. Elisabeth in der Südstadt war überaus gut besucht. Von nun an musste sich das Beethoven-Gymnasium für die nächsten Jahre als „Gast“ in den Räumen der Liebfrauenschule (Königstraße) einrichten, die inzwischen wieder von den Schwestern des Ordens „Unserer Lieben Frau“ übernommen worden war (1938 Aufgabe der Schule durch das NS-Regime). Diese Mädchenschule war nur durch eine Mauer von der benachbarten Clara-Schumann-Schule getrennt, wo das Ernst-Moritz-Arndt Gymnasium eine vorübergehende Bleibe fand. Ein Tor erlaubte einen Durchgang zum jeweiligen anderen Schulgelände, doch es war den Beethoven-Schülern streng untersagt, ihn auch zu benutzen; der Schulweg durfte nur über die Königstraße führen.

 

Die „bedrückende“ Raumnot der Liebfrauenschule zwang zum Schichtunterricht und zu Kürzungen oder Fortfall von Fächern: Die beiden Schulen wechselten sich wöchentlich mit dem Nachmittagsunterricht ab, der zunächst um 12.30 Uhr, dann im März 1946 wegen der Fahrplanänderung der Vorgebirgsbahn um 13 Uhr begann. Es wurde streng darauf geachtet, dass es zwischen Schulschluss der einen und -beginn der anderen Schule zu keinerlei Kontakten zwischen den Jungen und Mädchen kam. Die ersten Stundenpläne wiesen nur die Hälfte der üblichen Wochenstundenzahl aus. Geschichte durfte noch nicht unterrichtet werden, zumal es auch keine Schulbücher ohne nationalsozialistisches Gedankengut gab; Physik und Chemie kamen erst im Februar 1946 hinzu. Ab Oktober 1947 hatten am 1. und 3. Samstag im Monat die Mädchen, am 2. und 4. Samstag die Jungen nach dem Schulgottesdienst 3 Doppelstunden zu je 70 Minuten Unterricht. Ebenfalls ab 1947 wurde der Nachmittagsunterricht um eine Stunde gekürzt: Im Wochenwechsel fiel zunächst die erste, dann die zweite Stunde usw. aus. Durch die mangelhafte Ernährung machte sich nämlich „ein starkes Herabsinken der Leistungsfähigkeit der Schüler namentlich in den letzten“ Stunden bemerkbar. Im Schuljahr 1947/48 hatten wegen der „Raumnot“ zeitweise einzelne Unterstufenklassen an jeweils einem Tag keinen Unterricht.

Aus der Zusammenlegung der beiden Schulen ergaben sich „schwerwiegende Folgen“, die „in jedem Fall eine Herabminderung der Leistungen“ mit sich brachten. Der Unterricht musste häufig in Räumen stattfinden, die hierfür gänzlich ungeeignet waren; Turnhalle, Zeichensaal und Handarbeitsraum waren zu Klassenräumen umfunktioniert worden. Den Ausfall der naturwissenschaftlichen Sammlungen bemängelten die Lehrer als schwere Behinderung für einen Erfolg versprechenden Unterricht in Physik, Chemie und Biologie. Aus Raum- und Zeitgründen fiel jede künstlerische Betätigung aus. Raum- und Gerätemangel verhinderten sportliche Aktivitäten. Körperliche Mängel der Schüler, eine Folge von Unternährung und schlechten Lebensbedingungen, sollten auf Weisung der Militärregierung „durch entsprechende körperliche Übungen abgestellt“ werden. Doch die im Mai 1946 eingeführten zehnminütigen Freiübungen in der großen Pause für jüngere Schüler auf dem Hof mussten aus Mangel an nötigen „Kalorien“, an Kleidung und Schuhwerk bald wieder aufgegeben werden.

9.1.3 Ständige „Störungen des Unterrichtsbetriebes