9.1.8 „Re-Education“ nach britischem Vorbild: Schülerselbstverwaltung als Teil der Demokratisierung des Schullebens

Ziel der Schulpolitik der britischen Besatzungsmacht, der auch Bonn unterstand, war die „Re-education“, die Selbstbestimmung der einzelnen Schulen und die Demokratisierung des inneren Schullebens, wodurch die Entwicklung demokratischen Denkens und Handelns ermöglicht werde. Die Beziehungen zwischen Schulleitung und Kollegium sowie Lehrern und Schülern sollten von ihren autoritären Strukturen befreit werden. Dieses Ziel lag ganz auf der Linie der Direktive Nr. 54 vom 25. Juni 1947 des Alliierten Kontrollrates, die die Schulen auf eine Erziehung zur bürgerlichen Verantwortlichkeit und zu einer demokratischen Lebensweise festlegte.

Die britischen „Vorschläge für Bürgerrecht-Erziehung“ vom 18. April 1947 wollten sich nicht mit theoretischen Kenntnissen demokratischer Regierungsverfahren begnügen, sondern verlangten von den Schulen, ihren Schülern ein Höchstmaß an praktischen Erfahrungen zu ermöglichen und sie den Gebrauch parlamentarischer Methoden üben zu lassen. Neben dem Schülerrat als einer Einrichtung der Schule sollte für jedes Schuljahr ein Präsident, ein Vizepräsident, ein Schatzmeister und verschiedene Ausschüsse gewählt werden. Darüber hinaus enthielten die „Vorschläge“ viele Ideen zur Erhöhung der Eigenverantwortlichkeit der Schüler und der Praktizierung demokratischer Umgangsformen. Einkalkuliert waren bei der Umsetzung „schwerwiegende Änderungen sowohl der Lebensgewohnheiten, der Lehrmethoden und der Lehrmittel als auch in der Geisteshaltung und der Vorbildung des Schulmannes“.

 

Am 13. Juni 1947 entschied die Lehrerkonferenz des Beethoven-Gymnasiums über die „Schülerselbstverwaltung zum Zwecke einer staatsbürgerlichen Erziehung“: ab UII (Klasse 10) sollten die Schüler einen Klassensprecher, einen Klassenordner, einen Klassenbuchführer und deren Stellvertreter wählen; in den unteren Klassen bestimmte der Klassenlehrer diese Ämter. Die weitere Entwicklung der Schülerselbstverwaltung „aus diesen Anfängen heraus“ wollte die Konferenz „einem späteren Zeitpunkt zuweisen“. Einer der jüngsten Studienräte (geb. 1908) erhielt die Aufgabe, „die Schülerselbstverwaltung mehr zu fördern“ und „Anregungen“ entgegenzunehmen. Anfang 1948 kam es zwischen einem „Schülerausschuß“ und einigen Lehrern zu einer längeren Aussprache, bei der die Schüler ihre Wünsche zu organisatorischen Aufgaben und eigener Verantwortlichkeit innerhalb des Schullebens vortrugen.

Diesem Anliegen kamen die nordrhein-westfälischen „Richtlinien betr. Erziehung zur Selbständigkeit und Verantwortlichkeit in der höheren Schule“ vom 19. Januar 1948 entgegen, die die „Selbsttätigkeit und Selbstverantwortung des in seiner lebendigen Einheit verstandenen Menschen“ wecken wollten durch „eigenständige Selbsttätigkeit der einzelnen Schulen und der in ihr gestaltenden und gestalteten Persönlichkeiten“. Die Vorschläge für eine Selbstbetätigung der Schüler im Rahmen ihrer Schule bezogen sich auf die äußere Organisation: Klassenämter, Übernahme von Aufsicht und Ordnungsdienst, Mitwirkung bei der Aufrechterhaltung der Schuldisziplin, auf die selbstständigen Veranstaltungen der Schüler sowie die Hilfe beim Ausbau der Schulsammlungen und Schulbüchereien. Dem Kollegium war bewusst, dass der „Schwerpunkt der Schülerselbstverwaltung nicht im Äußeren liegen dürfe; die Freude an dem Mittragen von Verantwortung, vor allem innerhalb der eigenen Klasse, sei das Wesentliche“.

Unter den damaligen äußerst schwierigen Bedingungen im Schulalltag und angesichts des überalteten Kollegiums sowie eines großen Lehrermangels ergab sich das natürliche Bestreben der Schüler, die Lehrer zu entlasten, die ihrerseits froh waren, die oft überdurchschnittlich alten Schüler an der Organisation des Schulalltags zu beteiligen. Der Schulleiter gab die Parole aus: „Die Schülerselbstverwaltung kann und soll mitwirken bei der Aufrechterhaltung der Schulzucht“. Die Oberstufenschüler jedenfalls freuten sich über die ihnen zugewiesenen Aufgaben bei der Gestaltung des Schullebens neben und mit der Lehrerschaft in eigener Verantwortung: – zunächst mehr organisatorischer Art, z. B. Aufsichten, Regelung der Fahrradunterstellung, Hilfe bei der Organisation der Schulspeisung, Vorschläge für die Praktizierung der Schulordnung und Übernahme von Verantwortung bei deren Durchführung (wobei die Aufsichtspflicht und Verantwortlichkeit der Lehrer unberührt blieb), dann aber auch die Gestaltung von Schulfeiern, Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften und Nachhilfeunterricht innerhalb der Klassen. Am Ende des Schuljahres 1949/50 lobte der Schulleiter den weiteren Ausbau der Schülerselbstverwaltung am Beethoven-Gymnasium, die sich „zu einer erfreulichen Höhe entwickelt“ hätte. „Ein Teil der Aufsichten wurde von ihr übernommen, Sportfest und Theateraufführung selbständig durchgeführt. Neu entwickelt wurde ein Betreuungssystem für Schüler der unteren Klassen durch besonders geeignete Sekundaner und Primaner.“

 

Schließlich gab sich die (nunmehr umbenannte) Schülermitverwaltung eine eigene Satzung: „Die SMV soll das gemeinschaftliche Leben innerhalb und außerhalb der Schule mitgestalten und fördern. Sie soll sich bemühen, neben dem Unterricht sich eine eigene Form des Lebens innerhalb der Schule zu geben. – Als Grundeinstellung setzt die Arbeit der SMV ein Verantwortungsgefühl gegenüber den Kameraden und der Schule voraus. Diese Verantwortung bezieht sich auf den Eindruck, den die Schülerschaft in der Öffentlichkeit macht, die innere Ordnung und die Gesinnung innerhalb der Schülergemeinschaft. – Die SMV soll das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern fördern. – Die Schüler haben Gelegenheit, ihre Meinungen und Interessen vorzubringen und durch ihre Vertreter über den Schulsprecher an die Schulleitung weiterzugeben.“

Auch später im neuen Gebäude an der Koblenzer Straße überwachte die SMV vor Schulbeginn und nach Schulschluss die Zugänge zur Schule, leistete vor dem Gebäude, wenn einmal kein Polizeibeamter anwesend war, Lotsendienste und sorgte für ein möglichst diszipliniertes Verhalten der Schüler im Verkehr. Außerdem richtete die SMV Kulturfilmveranstaltungen ein mit kurzen, interessanten und lehrreichen Kultur- und Dokumentarfilmen. Der „Theater-Club“, früher „Schülerbühne des Beethoven-Gymnasiums“, führte meist mehrere Stücke im Jahr auf. Die Redaktion der Schülerzeitung „Unser Forum“ brachte manchmal fünf Nummern jährlich heraus. An den Schulfesten beteiligte sich die SMV an der Organisation und mit vielen eigenen Beiträgen.

9.2 Verlegung, Wiederaufbau oder Neubau des Beethoven-Gymnasiums?