9.2 Verlegung, Wiederaufbau oder Neubau des Beethoven-Gymnasiums?

Bei den Plänen für einen Wiederaufbau des Beethoven-Gymnasiums wurde die zu stark beschädigte Vorderfront nicht mehr in Erwägung gezogen, zumal auch der zunehmende Verkehr auf der Koblenzer Straße (1967 in Adenauerallee umbenannt) den Unterricht stören würde. Dabei war das alte Gebäude „bereits 1928 für die damalige Zahl von 516 Schülern zu klein“. Die augenblickliche Beschränkung auf zwei Eingangsklassen (bei 86 Sextanern 1947 und 78 Ostern 1950), wozu die „Behelfsmäßigkeit der Liebfrauenschule zwang“, bildete nicht „die Normalzahl“. Nach der Entscheidung für Bonn als Bundeshauptstadt erwartete Schümmer im Laufe des Jahres 1950 den Zuzug tausender Beamter und Angestellter, „die ihre Söhne zumeist dem alt- und neusprachlichen Gymnasium, d. h. dem Beethoven-Gymnasium zuführen“ würden. Schule, Elternschaft und Kultusministerium drängten auf die schnelle Lösung eines Wiederaufbaus, die allerdings durch die noch nicht abgeschlossene Planung für Ministeriumsgebäude an der Koblenzer Straße verhindert wurde, da man nicht bereit war, Gelder für den Kauf von Nachbargrundstücken für den notwendigen Neubau zur Rheinseite hin zu bewilligen.

Eher brachte der Finanzminister immer wieder die Verlegung des Beethoven-Gymnasiums an eine andere Stelle der Stadt ins Spiel (Endenicher Straße 140, Grundstück pharmakologisches Institut, Grundstück des Hauses Melb, Sportgelände an der Reuterstraße); doch alle in Erwägung gezogenen Bauflächen erwiesen sich als ungeeignet. Schümmer verwies auf die lange Tradition des Beethoven-Gymnasiums und die „besonders bevorzugte und seiner Bedeutung entsprechenden Lage am Rhein“, deren „landschaftliche Schönheit“ für das Gelingen von Erziehung und Unterricht nicht zu unterschätzen sei. Auch das Kultusministerium wollte auf keinen Fall einer Verlegung zustimmen, da das „staatliche Beethoven-Gymnasium … nach seiner ganzen geschichtlichen Vergangenheit, seinem mehrhundertjährigen Bestehen und seiner besonderen Bedeutung als humanistische Bildungsstätte Anspruch auf eine bevorzugt Lage“ erheben könne. Die Eltern lehnten ebenfalls die „völlig indiskutablen Projekte“ einer Verlegung ab; für die Jugend sollte „das Beste und Schönste gerade gut und schön genug sein“ und sie müsse „vor dem Anliegen bundeshauptstädtischer Repräsentanz den Vorrang haben“. Nach einer Besichtigung des Schulgrundstückes anlässlich einer Bundesratssitzung lenkte der Finanzminister schließlich ein. Nach längeren Verhandlungen konnten im Herbst 1950 zwei nördlich angrenzende Grundstücke am Rhein mit dem nicht zerbombten Untergeschoss des kurfürstlichen Lustschlösschens „Vinea Domini“ erworben werden.

 

Die im Juni 1950 begonnenen Bauarbeiten im hinteren Teil des alten Schulgebäudes verzögerten sich immer wieder, so dass erst am 6. April 1951 der „schönste Schulhof Deutschlands“ sich wieder mit Schülerscharen belebte und der Unterricht für die Unterstufe (darunter 112 Sextaner in nunmehr drei Eingangsklassen) und zwei Primen in den neu erstellten Klassenräumen in einem „äußerlich unverputztem, innerlich aber recht freundlich anmutendem Schulneubau“ beginnen konnte. Allerdings vermochte selbst ein ausgeklügelter Stundenplan nicht zu erreichen, dass bei dem Lehrerwechsel von der Königstraße zur Koblenzer Straße und umgekehrt (wegen der häufig geschlossenen Bahnschranke!) der Unterricht pünktlich begann. Nachdem die Verwendung des alten Vorderteils der Schule für Unterrichtszwecke grundsätzlich verworfen worden war und der Abbruch unbrauchbarer Mauerteile weiterging, erreichte die Schule die Genehmigung für die Errichtung einer Turnhalle von der Straßenfront aus rechts und einer Aula mit Nebenräumen auf der linken Seite.

 

Für den Neubau wünschte sich das Kollegium ein Klassengebäude parallel zum Rhein an der Böschung und die übrigen Nebenräume in einem Flügel an der Nordseite bis zum alten Schulbau. Das Staatshochbauamt wollte hingegen einen viergeschossigen Trakt quer zur Rheinfront mit einer leichten Schwenkung mit Südostlage. Nach langen Verhandlungen erreichte die Schule als Kompromiss zu dem kritisierten Neuentwurf des Wiederaufbauministeriums einen nördlich gelegenen dreigeschossigen Klassentrakt mit einer Pausenhalle zum Rhein hin und einen Verbindungstrakt „in leichter Kurve“ nach dem alten Bau für die naturwissenschaftlichen Räume; der gesamte Schulhof gestattete damit eine Aussicht auf den Rhein und das Siebengebirge.

 

Zu erheblichen Differenzen zwischen Schule und Wiederaufbauministerium führte auch der Wunsch der Lehrerschaft, die bei der Enttrümmerung freigelegten, allerdings nur wenigen Reste des kurfürstlichen Weinschlösschens „Vinea Domini“, eines oktogonalen Pavillons mit niedrigeren flachen Nebentrakten und einem Souterrain mit Küche und Geschirrkammer, in den Neubau einzubeziehen. Eine besondere Attraktion des von Guillaume Hauberaut für Kurfürst Clemens August um 1722 vollendeten, französisch geprägten Barockbaus war das „Tischleindeckdich“, eine Apparatur, mit der man den im Keller angerichteten Tisch mit Hilfe einer Winde durch den geöffneten Fußboden zur Überraschung der Gäste in den achteckigen gewölbten Speisesaal des Mittelbaus heben konnte. Den erhalten gebliebenen oktogonalen Keller mit Sternengewölbe und der Öffnung für das „Tischleindeckdich“ wollte die Schule in die geplante Pausenhalle gewissermaßen als „Schmuckstück“ für das Beethoven-Gymnasium einbeziehen.

Wiederaufbauministerium und Landeskonservator waren jedoch zu der Überzeugung gekommen, dass sich der restliche Kellerraum der „Vinea Domini“ weder technisch noch architektonisch   einwandfrei mit dem neuen Gebäude vereinigen ließ. Außerdem gab die Ablehnung des Regierungspräsidenten unter dem Aspekt der Mehrkosten von 20.000 DM und des angeblich zweifelhaften künstlerischen Wertes den Ausschlag. Einzig ein Wandgemälde in Sgrafittotechnik an der Nordwand der Pausenhalle sollte die Erinnerung an diesen historischen Ort wach halten. Von dort aus werde, so versuchte das Wiederaufbauministerium die Schule zu beruhigen, „genau derselbe Blick, wahrscheinlich noch schöner und umfassender für die heranwachsende Jugend geschaffen werden, den man früher von der Vinea Domini aus hatte“. Als Schümmer immer noch „gegen die geplante Zerstörung dieses ehrwürdigen Restes der Vergangenheit Einspruch“ erhob, wurde das Schulkollegium von der Kultusministerin angewiesen, dem Schulleiter „alsbald zu eröffnen“, es sei „Sache des Direktors, sich der ministeriellen Entscheidung zu fügen und dafür zu sorgen, daß weitere, völlig überflüssige Erörterungen hierüber“ unterblieben. Die restlichen freigelegten Bauteile der „Vinea Domini“ ließ das Wiederaufbauministerium mittlerweile trotz anhaltender Widerstände der Schule abreißen, um den Neubau nicht noch weiter zu verzögern.

 

Zum Richtfest am 14. November 1951 lobte die „Bonner Rundschau“: „Das alte Gebäude, wo Jahrzehnte der ‚vinea domini’-Villensitz ein Begriff war, ist nunmehr in schwungvoller Planung für die Rheinfront neu entstanden … Die jetzigen und künftigen Schüler des Beethoven-Gymnasiums sind zu beneiden, denn wo fände sich ein schulischer Ort, der Tag und Nacht, auch während der Unterrichtsstunden durch große Fenster den Strom mit seinem Leben und die Sieben Berge bis an die Schulbänke heranbringt?“ Nach den Osterferien am 17. April 1952 begann der Unterricht nunmehr für alle Schüler in einem neuen eigenen Gebäude, – 7 ½ Jahre nach der Zerstörung der alten Schule und nach 6 ½ Jahren „zu Gast“ in der Liebfrauenschule. Obwohl drei neue Eingangsklassen und der weitere starke Zuzug auswärtiger Familien schon zukünftigen Raummangel ankündigten, konnten die 23 Klassen in 18 Klassen- und fünf Nebenräumen – ohne den ungeliebten Schichtbetrieb – untergebracht werden. „Die ganze Umgebung des neu errichteten Gymnasiums und die moderne und lichte Bauweise des Hauses“, so glaubte die „Bonner Rundschau“ optimistisch, würden „über die ersten Einschränkungen hinweghelfen und besonders auch der Lehrerschaft ihre große Aufgabe erleichtern“.

 

Noch im Juni 1952 begannen an der Vorderfront zur Koblenzer Straße die Arbeiten des dritten Bauabschnitts mit der Aula, der Turnhalle und den Räumen für das Staatliche Studienseminar. Im August wurde der „in der rheinseitigen Böschung vorgesehene Bootsbunker an dem Wilhelm-Spiritus-Ufer in Angriff genommen“. Die neue Aula, ein in hellen Pastellfarben gehaltener „Repräsentativ-Saal für 700 Personen“, wurde als eine „Sehenswürdigkeit der Schule“ gepriesen, die „an sich schon ein Schmuckstück darstelle, um das viele Städte Bonn beneiden“ würden. Bis zur Decke mit Eschenholz getäfelt, unterstrichen auch das Eichenholzparkett, die 10 Deckenlampen mit Aluminiumgestänge und die Glasstablampen an der Innenwand die Helligkeit der Farben des Raumes. Vor der Bühne mit hellblauem Vorhang waren die Stuhlreihen mit Klappsitzen nach hinten aufsteigend angeordnet. Eine besonders starke Isolierschicht auf den schallschluckenden Wänden sollte vor dem Lärm auf den Gängen und im Zwischentrakt schützen, eine dreifache Glasschicht die Verkehrsgeräusche auf der Koblenzer Straße fernhalten.

 

Als „Kunst am Bau“ zierte seit Juni 1952 oberhalb des Lehrerzimmerbalkons eine Sonnenuhr „zu Lehr- und Anschauungszwecken“. Um die Erkennbarkeit der Linien, römischen Zahlen und Tierkreiszeichen vom Schulhof aus zu erhöhen, war auf Sgrafittoplatten eine rote und eine schwarze Farbschicht aufgetragen, die dann mit dem weißen Putz der Gesamtfront überzogen wurde. Aus den noch frischen, feucht gehaltenen Putzschichten schnitt man die Markierungen heraus, um durch „Farbe und plastische Gestaltung“ eine „künstlerische Note“ zu erreichen. Über der Uhr konnten die Schüler in großen lateinischen Buchstaben den Spruch: „Transit umbra, manent opera“ lesen.

Eine „plastische Bilddarstellung des Namensgebers der Schule“, eine „Portraitbüste“ oder ein Bildnisrelief“ in Stein oder Bronze, sollte die Eingangshalle des Gymnasiums schmücken. Man entschied sich schließlich Ende 1952 für den Entwurf des Düsseldorfer Bildhauers Kurt Zimmermann, der ein überlebensgroßes plastisches Bildnis in Maskenform auf einer Konsole ruhend vorgeschlagen hatte. Der Künstler wollte mit der annähernden Wiedergabe der Totenmaske einen „im wesentlichen symbolhaften Eindruck“ erreichen, ohne dabei auf die deutlich erkennbaren Züge Beethovens zu verzichten. Zu einem für notwendig gehaltenen, architektonisch ergänzenden Hintergrund ist es allerdings nicht mehr gekommen.

 

Mit der Fertigstellung des Lehrschwimmbeckens (7,5 mal 4,5 Meter), der Umwälzanlage und der Ruderschule im Keller des Hauptgebäudes waren 1956 die geplanten Baumaßnahmen abgeschlossen. Nun konnte der Schwimmunterricht auf alle Nichtschwimmer der Schule ausgedehnt werden. Zum vollständig gekachelten Schwimmbecken gehörten eine praktische Brause- sowie eine Be- und Entlüftungsanlage und ein Umkleideraum. Die ständig umgewälzten, 22-23° warmen 40 m³ Wasser wurden mit Filtern und einem Chlorzusatz keimfrei gehalten.

Außerdem konnte nun der Gymnasial-Ruderverein (GRV) mit einem Gerät für eine Viererbesatzung im Winter die neuen bzw. noch ungeübten Mitglieder im sogenannten Ruderkasten für das Rudern auf dem Rhein vorschulen; das in einem Oval umlaufende Wasser schaffte hierfür die natürlichen Bedingungen

 

Im Oktober 1992 wurde das Beethoven-Gymnasium als typischer Bau der 50er Jahre unter Denkmalschutz gestellt. Die offene, nicht immer symmetrische Anordnung der Gebäudeteile sollte nach dem Krieg die alte „Schulkaserne“ verdrängen. Hohe Fensterwände ließen viel Licht in die Treppenhäuser; auch von außen sollte ein Blick auf hin- und herlaufende Schüler geworfen werden. Durch solche Transparenz wurde ebenfalls die Umgebung der Schule, der Rhein, das gegenüberliegende Ufer und das Siebengebirge, einbezogen.

9.3 Die Elly-Heuß-Knapp Schülerinnen als „Gäste“ im Beethoven-Gymnasium