12. Das Beethoven-Gymnasium zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Kontinuität und Neugestaltung in Zeiten des „Umbruchs“

12.1 Schulleiterwechsel wieder im Augenblick großer Veränderungen

Die Endlichkeit seiner Amtszeit im Blick, versuchte Kötting seit Beginn des Schuljahres 2002/03 eine lückenlose Nachfolgeregelung zu erreichen und im Einvernehmen mit dem Schuldezernenten die Stelle frühzeitig ausschreiben zu lassen. Glück, richtige Strategie und einvernehmliches Handeln aller Beteiligten führten zu einer äußerst zufrieden stellenden Lösung dieses ansonsten nicht immer einfachen Problems. Bei der endgültigen Entscheidung über die Kandidaten, darin waren sich Schulleitung, Kollegium, Elternschaft und Schülervertreter einig, stimmte die Schulkonferenz geschlossen für Studiendirektor Alexander Wolfshohl.

Nach dem Studium von Germanistik, Geschichte und Mittellatein war er lange Jahre am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Hürth tätig (mit vielfältigen schulischen Aufgaben betraut: u. a. Qualitätssicherung, Schulprogramm, Theater, Schülerzeitung), bis er 1999 Stellvertretender Schulleiter des Nicolaus-Cusanus-Gymnasiums in Bonn wurde (und hier u. a. die Projekte „Unesco-Woche“, „Schule und Unternehmen für Nachhaltigkeit“ koordinierte).

Noch am vorletzten Tag des auslaufenden Schuljahres, dem 29. Juli 2003, konnte Kötting in einer Dienstbesprechung seinen Nachfolger dem Kollegium und den Vertretern der Eltern- und Schülerschaft vorstellen und ihm – mit einem wohlschmeckendem Gruß aus der „Vinea Domini“ – den Generalschlüssel überreichen. Anschließend führte ihn der Dezernent offiziell in sein Amt ein. „Diese lückenlose Fortführung der Schulleitung“, das unterstrich der Chronist des Jahresberichtes 2003 des Beethoven-Gymnasiums nicht ohne Genugtuung, sei „ungewöhnlich“.

 

Als weniger ungewöhnlich bestätigte sich denn auch Köttings Vermutung: „Nichts ist beständiger als der Wandel“, der sich – nach dem Wechsel in der Schulleitung – in der Schulpolitik der damaligen Landesregierung abzeichnete. Ähnlich bedeutsam und folgenreich wie Anfang der 70er Jahre mit der Oberstufenreform, führten Reformeifer, Finanznot und „schlechte“ Ergebnisse bei internationalen Bildungsvergleichsstudien zu einschneidenden Reformen im Schulwesen, deren Inhalte erstmalig im Frühjahr 2004 der Öffentlichkeit unter den Schlagworten „Schulzeitverkürzung“ und „Zentralabitur“ präsentiert und zu einer großen Herausforderung für den neuen Schulleiter und alle am Beethoven-Gymnasium beteiligten Kräfte wurden.

Die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre (G 8) sollte mit der Klasse 5 des Schuljahres 2005/6 beginnen und hatte eine Erhöhung der gesamten Wochenstundenzahl der Klassen 5 bis 10 (der Oberstufe verblieben nach diesen Plänen nur die Stufe 11 und 12) um neun Stunden zur Folge. Die ab 2005/6 geltenden Kernlernpläne der einzelnen Fächer mussten auf die Verkürzung hin umgearbeitet werden, der Termin der Fertigstellung war allerdings nicht absehbar. Der Jahrgang 11 (ab 2004/5) des auslaufenden neunjährigen Gymnasiums durfte sich schon auf das Zentralabitur einstellen. Die Erarbeitung der hierfür obligatorischen Inhalte war bis Februar 2005 „angestrebt“ (!), d. h. die Schüler begannen im Herbst 2004 ihre Oberstufenlaufbahn, ohne genau zu wissen, was sie drei Jahre später in der Prüfung erwartete.

 

Ebenfalls im Schuljahr 2004/05 sollten im November 2004 in allen Klassen 9 in ganz Nordrhein-Westfalen zentrale „Lernstandserhebungen“ in Mathematik, Deutsch und Englisch (1. Fremdsprache) als „Standortüberprüfung“ ohne Zensurengebung (keine Wertung als Klassenarbeit) durchgeführt werden. Auch hierzu kamen die notwendigen Informationen und die Aufgabenbeispiele nur „tröpfchenweise“ vor Ort an. Die Fachlehrer hatten die Arbeiten nach einem vorgegebenen Schlüssel zu bearbeiten und die Ergebnisse einer zentralen Auswertung zuzuführen.

 

Die offiziell häufig beschworene Finanznot des Landes bedeutete für die zeitlich sehr aufwendig einzuleitenden Veränderungen im Schulwesen derweil nichts Gutes: Die Arbeitszeit der (Landes-) Beamten erhöhte sich ab 1. April 2004 allgemein auf 41 Wochenstunden, die wöchentliche Unterrichtsverpflichtung für Lehrer um eine Stunde, ohne dass die große „Beamtendemo“ (mit „Wut im Bauch“) in Düsseldorf die Landesregierung beeindruckt hätte.

 

Abgesehen davon hatte sich der Regierungspräsident zu einem Besuch des Beethoven-Gymnasiums im Herbst 2004 angekündigt. In den letzten Jahren war es zu seiner Gewohnheit geworden, Schulen seines Regierungsbezirks zu inspizieren, um die Qualität des Unterrichts zu prüfen und die individuellen Probleme vor Ort besser kennen zu lernen. Er nahm dann immer am Unterricht teil, führte Gespräche mit allen schulischen Gruppen und ließ sich einen Einblick in die äußeren und baulichen Rahmenbedingungen der jeweiligen Schule geben.

 

In der Tat, gleich eine Fülle von Herausforderungen, denen sich der neue Schulleiter mit dem Kollegium sowie der Eltern- und Schülerschaft stellen musste. Er vertraute auf den sicheren Fundus der „Leitlinien und Ziele“, die das schulische Leben des Beethoven-Gymnasiums bisher geprägt hatten: „Traditionsverbundenheit und Weltoffenheit, Leistungsbereitschaft, Genauigkeit des Arbeitens, Freude an der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten“ hätte er vorgefunden, bekannte er im Vorwort des Jahresberichtes 2003 des Beethoven-Gymnasiums,. „Aus Tradition modern“, das Bewährte im Grundsatz weiterzuführen und anzupassen, um den notwendigen Veränderungen gerecht zu werden und das Neue zu gestalten, sollte auch für Wolfshohl Vorgabe seines schulischen Handelns sein. Bei aller öffentlichen Kritik an der bisherigen gymnasialen Praxis und Schulform und trotz des starken Veränderungswillens der Landesregierung sei der Kern des Gymnasiums „humanistischer altsprachlicher Tradition“ zu wahren. „Dem antiken Erbe verpflichtet, im kulturellen Wertgefüge der jüdisch-christlichen Kultur stehend“, sollte die Arbeitsweise von Lehrern und Schülern „weltoffen und zukunftsbezogen“ sein (Vorwort zum Jahresbericht 2005). Im Dialog mit der Schüler-, Lehrer- und Elternschaft, in „zugewandtem gesprächsbereiten Miteinander“ würden die „schwierigen Hürden“ der Neugestaltung des Schullebens in Ruhe und Besonnenheit zu bewältigen sein.

 

Die Kontinuität der reichhaltigen und intensiven schulischen Arbeit in einem eingespielten Rhythmus des Schulprogramms (Unterrichtsprojekte, Musik, Theater, Tanz und Bewegung, Fahrten und internationale Schüleraustausche, Wettbewerbe, Feste und Feiern, usw.) spiegelt sich in den auf 2003 folgenden Jahresberichten wider. Bei aller Wehmut über die nun einsetzende „Pensionierungswelle“ altgedienter und erfahrener Kolleginnen und Kollegen konnte Wolfshohl erfreulicherweise die Möglichkeit der „schulscharfen“ Neueinstellungen erfolgreich nutzen, um das Kollegium „bedarfsgerecht“ zu ergänzen und dessen Durchschnittsalter so stark herabzusenken, wie es seinem Vorvorgänger, Dr. Seidler, am Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrtausends vergönnt gewesen war.

 

„Lesen“ gehörte zu Wolfshohls bevorzugten Tätigkeiten. Da durfte er auch nicht nach seinem Amtsantritt bei der Weinlese im Lehmener Schülerweinberg des Beethoven-Gymnasiums an der Untermosel fehlen, zumal die belebende Anwesenheit der örtlichen Weinkönigin die anstrengende Arbeit der „Weinbau-AG“ samt begleitender Eltern und Lehrer anspornte und die „Razejungen“ hilfreich mit Rat und Tat zur Seite standen. Diese „Freunde des Steillagen-Anbaus“, die sich der besonderen Pflege des Brauchtums sowie der Pflege der traditionellen Weinbautechniken widmeten, leiten ihren Namen von der aus Weiden geflochtenen Rückenkiepe, der „Raz“, her, mit der alle notwendigen Materialien den Weinberg hinauf und hinunter getragen werden. Die „Razejungen“ waren eine hilfreiche Patenschaft mit den in gewissen Abständen wechselnden Schülern der „Weinbau-AG“ eingegangen, um sie auf die ökologischen Herausforderungen des Weinbaus vorzubereiten. Dazu gehörte auch der Gebrauch der „Raz“, mit der die Schülerinnen und Schüler von einem großen herangeschafften Haufen unterhalb des Weinbergs Stalldung (!) „buckel- und geruchsnah“ die Steillage bis zu den einzelnen Weinstöcken hinauftragen mussten. Auch der Schulleiter übte schon einmal im Hinblick auf kommende Herausforderungen, alltäglichen Mist einer fruchtbringenden Verwendung zuzuführen.

Die Arbeit im Lehmener Schülerweinberg, im wohlverstanden biblischen und ökologischen Sinne, machte Wolfhohl zur „Chefsache“ und legte bei fast allen Aktionen der „Weinbau-AG“ selbst Hand an. Seinen Einsatz im Wingert würdigten schließlich die Lehmener „Razejungen“, indem sie ihn zu ihrem „Ehrenrazejungen 2008“ kürten. Vor viel Publikum auf dem Lehmener Marktplatz legte am 28. Juni 2008 der Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz seinem erwählten Nachfolger, dem Schulleiter des Bonner Beethoven-Gymnasiums, die „kunstvolle Ehrenkette“ mit den Worten um den Hals: „Mit dieser Halskette geht die Würde eines ‚Ehrenrazejungen’ von mir auf Sie über“. Bei der Weinlese in der „Vinea Domini“ in der Bonner Rheinaue zwei Monate später konnten Weinkollegium und Gäste mit dem „Dominus“ Wolfshohl, in vollem Ornat präsent, anstoßen.

 

Gleich zum ersten Abitur unter Leitung des neuen Schulleiters im Mai 2004 hatten sich sechs Dezernenten zur mündlichen Prüfung angemeldet – ein Anlass, die genau einzuhaltenden Formalia noch einmal ins Gedächtnis zu rufen und den organisatorischen Ablauf besonders sorgfältig zu planen. Die Rückmeldungen der Aufsichtsbeamten charakterisierte Wolfshohl als „insgesamt positiv“: Ihr Gesamturteil lautete: „Das Beethoven-Gymnasium ist eine gut geführte Schule“, eine erfreuliche Bestätigung der Zusammenarbeit von Schulleitung und Kollegium.

Auch die Ergebnisse der Auswertung der Lernstandserhebungen in Klasse 9 im November 2004 (in bunten Säulengrafiken dargestellt) lasen sich vielversprechend. Das Beethoven-Gymnasium fand sich – unter den Gymnasien des Landes – in allen drei Fächern (Mathematik, Deutsch, Englisch) „weit oben im oberen Drittel“ wieder; auch die vier Parallelklassen hatten im Vergleich zueinander recht „homogen“ abgeschnitten. Den „Slogan“: „BG – find ich gut“, hielt der Chronist des Jahresberichtes 2005 folglich für „keine Sprechblase“, zumal auch die Ergebnisse der folgenden Lernstandserhebungen die Feststellung bestätigten.

 

Den Regierungspräsidenten, dessen Besuch man mit großer Spannung entgegenblickte, erwartete am 7. Oktober 2004 ein geradezu „choreographisch inszenierter“ Empfang. Alle Unterrichtsräume hielten ihm ihre Türen einladend geöffnet. Dadurch konnte er sich – über seine zeitweise Anwesenheit im Griechisch-, Französisch- und Englischunterricht hinaus – einen Gesamtüberblick über die Unterrichtsatmosphäre und -arbeit verschaffen. Er führte Gespräche mit den Elternvertretern sowie den Damen der Cafeteria und der Unter- und Mittelstufenbücherei und fand den gesamten Schüleraufenthaltsbereich als „sehr gelungen“ (einschließlich des von ihm selbst getesteten Flipperspiels). Für die Abschlussbesprechung mit der SV und das ausführliche Interview mit den Redakteuren der Schülerzeitung „Querbeet“ nahm er sich so viel Zeit, dass er über eine Stunde länger als geplant blieb.

Insgesamt zeigte sich der Regierungspräsident sehr beeindruckt nicht nur von der „Atmosphäre des konzentrierten Arbeitens“ und der „Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Schüler“, sondern auch von dem allgemeinen Zustand des Hauses. Wolfshohl konnte dem Kollegium abschließend danken, der Regierungspräsident habe das Beethoven-Gymnasium als „etwas Besonderes“ erlebt: „Unsere Schülerinnen und Schüler höflich und freundlich, ohne Kontaktscheu, die Kolleginnen und Kollegen als engagiert und niveauvoll-effektiv arbeitend“. Die Kölnische Rundschau fasste am anderen Tag im Titel zusammen: „Lob für Lehrer, Lob für Eltern“.

12.2 Das Schulgesetz vom 1. August 2006