9. Das Beethoven-Gymnasium in der Nachkriegszeit: Neubeginn in der Tradition

9.1 Zu „Gast“ in der Liebfrauenschule (1945 – 1951/52) 

9.1.1 „Christlich abendländische Bildung“ als Ziel des Gymnasiums

Auch nach dem 8. Mai 1945 war während des ganzen Sommers in Bonn an einen Wiederbeginn des Schulunterrichts nicht zu denken. Um die einjährige „Pause“ zu überbrücken, versuchten viele ältere Schüler den Stoff in Griechisch, Latein und Deutsch bei ehemaligen Lehrern in deren Wohnungen nachzuholen. Seit September wurde wieder im Theologenkonvikt „Collegium Albertinum“ (in der Nachbarschaft des Beethoven-Gymnasiums) eine sehr gut besuchte „Glaubensstunde“ einmal in der Woche angeboten.

 

In der englischen Besatzungszone wurde schon sehr früh mit dem Aufbau einer neuen Verwaltung begonnen, mit Düsseldorf als Zentrum für die „Nordrheinprovinz“, von wo der von den Nationalsozialisten degradierte einstige Schuldirektor Josef Schnippenkötter eine Schulreform einleitete. In seinen Übergangsrichtlinien für die höheren Schulen vom Oktober 1945, die von der „Treue gegenüber den deutschen geistigen Werten“ sowie „der Leistung der Vergangenheit“ und dem „abendländischen Geist“ geprägt waren, stellte er als „verpflichtende Norm aller Bildung“ den christlichen Glauben in den Mittelpunkt. Er ließ nur zwei Grundformen der nunmehr wieder neunjährigen höheren Schule für Jungen mit dem Ziel der Hochschulreife gelten: neben dem naturwissenschaftlichen das humanistische Gymnasium mit 8 Wochenstunden Latein in der Unterstufe (in der Mittel- und Oberstufe 6 Stunden), mit durchgehend 3 Stunden Englisch ab Quarta (IV, Klasse 7) und 6 Stunden Griechisch ab Untertertia (UIII, Klasse 8). Auf Grund der Bedeutung der englischen und französischen Kultur für den abendländischen Gedanken war als Sonderform ein neusprachlicher Zweig ab UIII möglich mit 4 Stunden Englisch und 5 Stunden Französisch (statt Griechisch).

Für das Beethoven-Gymnasium (zunächst kommissarisch von dem dienstältesten Kollegen, dem Mathematik- und Physiklehrer Professor Funck geleitet) stellten im Herbst 1945 Schnippenkötter und Prof. Dr. Hermann Platz, seit 25 Jahren Mitglied des Kollegiums und für kurze Zeit bis zu seinem plötzlichen Tod (4. Dezember 1945) als Leiter der Kulturabteilung der Nordrheinprovinz eine Art Kultusminister, die entscheidenden Weichen mit der Besetzung des neuen Schulleiters am 22. Oktober 1945: Dr. Karl Schümmer, der in der Weimarer Zeit an den Richertschen Richtlinien für die preußische Schulreform entscheidend mitgewirkt hatte, war 1933 als Leiter (seit 1925) des Bonner Städtischen Realgymnasiums von den Nationalsozialisten abgesetzt und, vom Oberstudiendirektor zum Studienrat zurückgestuft, an das Kölner Friedrich-Wilhelm-Gymnasium strafversetzt worden. Kein Unbekannter war er daher für seine neuen Kollegen, die, seinem eigenen Urteil nach, „dem Nationalsozialismus ferngestanden hatten“, so dass sich von Anfang an eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelte. Mit dem Namen Schümmer, für den das Christentum die wichtigste Seite der menschlichen Existenz bedeutete und, wie bei Platz, die „abendländische Idee“ aus der Verbindung von „Antike, Christentum und romanisch-germanischer Völkerwirklichkeit“ entstammte, erschloss sich den Kollegen ein „Programm“: die Wiederbelebung der „christlich-abendländischen Bildung“, die den Weg zur europäischen Einigung und zum „Zusammenschluß des westlichen Geistes gegen den [vom Kommunismus beherrschten] Osten“ ebnen sollte. Bei seinem entschlossenen Vorgehen, das schulische Leben und Lernen darauf auszurichten, wusste er das Kollegium hinter sich, da in seinen Augen das „meiste von der geistigen Substanz der alten Schule“ trotz der nationalsozialistischen Diktatur „hinübergerettet“ worden war. Der schmerzliche Verlust des Gebäudes, der Sammlungen und des größten Teils der Bibliothek erschwerten daher seiner Meinung nach eher äußerlich den Neuanfang.

 

Für ihn als begeisterten Neusprachler führte die „Verschiedenheit der europäischen Kulturgüter“ zu der Erkenntnis eines „verpflichtenden Reichtums des menschlichen Geistes“. Er gelangte daher von Anfang an zu der Überzeugung, dass die von Schnippenkötter vorgenommene Reduzierung der höheren Schule für Jungen auf zwei Gymnasialtypen den realen Erfordernissen der damaligen Zeit nicht standhalten konnte. Schon drei Jahre später erfolgte nämlich die gleichwertige Anerkennung des neusprachlichen Gymnasiums mit der Sprachenfolge Latein, Englisch und Französisch. Schümmer achtete nun besonders darauf, auf dem Beethoven-Gymnasium dem neusprachlichen Zweig ein selbstständiges Bildungsziel zu geben und die Gleichwertigkeit gegenüber den Altsprachlern herzustellen. Er glaubte dies nur erreichen zu können, wenn die Schule bei der Aufnahme strenge Maßstäbe für alle Schüler setzte und keiner in die Quarta (Klasse 7) käme, der nicht auch die Fähigkeit für Griechisch in UIII (Klasse 8) hätte (also kein schwächeres Leistungsbild als künftiger Französischanfänger erkennen ließ). Solange nach der neusprachlichen Untersekunda (UII, Klasse 10) – mit dem „Einjährigen“ – mehr Schüler abgingen als nach der altsprachlichen UII, sah Schümmer sein Ziel noch nicht erreicht. Auch wurden die Eingangsklassen nicht nach alt- bzw. neusprachlichem Zweig getrennt, weil die „Anforderungen an die Begabung für beide Zweige nicht unterschiedlich eingeschätzt werden“ könnten. Eine Trennung fand erst mit dem Übergang zur UIII statt, wobei es häufig auch zu einer kombinierten Klasse kam, wenn die Griechischanfänger die normale Klassenstärke überschritten.

9.1.2 „Bedrückende“ Raumnot und Schichtunterricht